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Erstickt der „globalisierte Dschungelkapitalismus“ an se ...

 

Ist das Ende des Neoliberalismus eingeläutet - in der Welt, in Deutschland, in Rostock? Das wäre wohl etwas sehr früh gejubelt, aber viele Anzeichen deuten auf seine Erosion hin. Politisches Handeln auch als Regulierungsmechanismus ist wieder gefragt, dem ungehemmten Wirken des „freien“ Marktes schlägt zunehmend Skepsis entgegen. Die Obama-Euphorie nicht nur in den USA ist die Spiegelung einer innen- und außenpolitisch gescheiterten Bush-Politik, nahezu dem Synonym für extremen Neoliberalismus, ist Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel in der Weltpolitik.

Das letzte, schon Bilderbuchbeispiel ist die jüngst durchlebte Finanz- und Bankenkrise. Es trat und tritt nahezu alles ein, was die Gegner der neoliberalen Globalisierungspolitik vorhergesagt hatten. Die Einschätzungen von Folgen, Dauer und Umfang sind allerdings sehr unterschiedlich.

 

Jean Ziegler zur „Gier des globalisierten Dschungelkapitalismus“

Der auch in Rostock, unter anderem durch seinen begeisternden Auftreten auf dem Alternativgipfel zum Treffen der G8, bekannte Schweizer Soziologe Jean Ziegler ist voller Hoffnung und schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 21.10.2008: „Die neoliberale Wahnidee ist endlich im Eimer. Die Theorie der Autoregulierung der Märkte, der staatenlosen globalen Entfesselung der Märkte als Ziel der Geschichte. Jetzt kann jeder sehen, dass das in den Abgrund führt.“

Und weiter: „Der Zusammenbruch der neoliberalen Wahnidee macht die Sicht frei auf die Notwendigkeit einer ganz anderen Gesellschaft, eines planetaren Gesellschaftsvertrages. Wenn die Menschen in der Herrschaftswelt begreifen, was für ein Irrweg diese spekulative globalisierte Kapitalismus-Ordnung war. Absurd und mörderisch zugleich. Mörderisch, weil sie tötet, und absurd, weil sie unnützerweise tötet. Weil man ja alle materiellen Probleme lösen könnte mit diesem einzigartigen Überfluss an Ressourcen. Wenn diese Sicht sich in der westlichen Öffentlichkeit durchsetzen würde, dann wird auch die Sicht auf die Dritte Welt ganz anders. Dann kommt es zu einem Dialog, zu gemeinsamem Widerstand. […]

Der globalisierte Dschungel-Kapitalismus mit seiner Gier, mit seiner Deregulation, mit seinem Irrglauben, seinem Lug und Betrug muss verschwinden. Dieses ganze Weltbild muss verschwinden…. […] Es muss ein Übergang kommen vom Kapitalismus zur Zivilisation. Die planetarische soziale Gerechtigkeit muss durchgesetzt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit haben wir die materiellen Mittel, um das umzusetzen. Das materielle Leid können wir besiegen. Liebeskummer, Krankheit und Tod sind doch schon Leid genug.“ Ziegler hat die Zuversicht, dass sich die Erkenntnis durchsetzen werde, „[…] dass die Paradigmen der gegenwärtigen Weltordnung mörderisch und verlogen sind. Diese Erkenntnis wird sich durchsetzen, weil jetzt die Menschen im Herzen des Herrschaftsbereiches Opfer sind. Und wenn jemand leidet, dann denkt er richtig.“

 

Zieglers Optimismus ist groß. Man möchte sich anschließen und bleibt doch skeptisch. Sicher: Was die Zukunft bringen wird, wissen wir nicht. Aber schon jetzt wird einmal mehr bestätigt: Die normative Kraft des Faktischen hat eine große Macht. Menschen lernen zwar auch durch theoretische Diskussionen, in erster Linie aber durch eigene Erfahrungen, am meisten durch schmerzlich erfahrene Lektionen.

Sie führen am schnellsten zum beginnenden Zerbröckeln alten Denkens, zum Aufbrechen einer Mentalität der Gleichgültigkeit gegenüber existentiellen Problemen, zum vorsichtigen Zurückdrängen egoistischer Sonderinteressen - sämtlichst Bastionen von Beharren, Stillstand und Rückschritt. Wer könnte das besser einschätzen als ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR, wie sie insbesondere die 1980er Jahre der DDR-Geschichte erlebten?

Bei aller gebotener Vorsicht: Es kann eine Zeit des Wandels beginnen, immer wieder stockend, mit Rückschlägen und reichlich Momenten des Nichtweiterwissens, aber mit vielen Momenten der Freude über neu Erreichtes, über neue Einsichten und greifbare Veränderungen.

Noch reichen die „schmerzlichen Erfahrungen“ wahrscheinlich bei den meisten Menschen nicht aus, steht Rückzug in die Ecke des Privaten, dem Shoppen in den Konsuminseln von Ostsee Park oder Hanse Center und gleichzeitigem Schimpfen auf „die da oben“ vor persönlichem Engagement für die Gesellschaft, ist altes Denken der oft nur sogenannten Eliten noch nicht ausreichend an den Grenzen der Wirklichkeit gescheitert.

Die Reibungsverluste sind umso geringer, je schneller dieser Umbau erfolgt. In unserer Stadt sind wir davon allerdings noch weit entfernt. Wo bleiben die konkreten alternativen Vorschläge, Vorschläge, die unter den Menschen diskutiert werden und nicht nur –wenn überhaupt - hinter den Mauern des Rathauses, der Stephanstraße, der Doberaner Straße oder wo auch immer?

Wie reagiert die Bürgerschaft der Hansestadt auf diese Situation? Einmal mehr mit dem Auftrag für eine Überarbeitung der Leitlinien zur Stadtentwicklung oder mit konkreten Beschlüssen zur Veränderung im kommunalen Leben? Weiterhin mit Gezänk und kleinkariertem Hickhack oder mit ernsthaftem Aufeinanderzugehen trotz scharfer Differenzen, mit dem Larifari üblichen Bürgerschaftsgeschwätzes oder mit kompetentem Sachverstand?

Und kann der OB mehr, als lediglich als der „eiserne Roland, der Sparsame“ in die Annalen der Stadt eingehen zu wollen, kann er integrieren, trag- und zukunftsfähige, über OB-Amtsperioden hinaus weisende Konzepte erarbeiten, die sich nicht auf den Abbau der Altschulden beschränken?

Und gelingt es den vielen einzelnen Gruppen aus dem außerparlamentarischen Spektrum, über die oft sehr sorgsame Pflege der exklusiven Einsamkeit hinaus, gemeinsam und wirksam Einfluss auf die Geschicke der Stadt zu nehmen, nicht nur Absichten verkündend a la „man sollte“ und „man könnte“, sondern gemeinsam mit anderen handelnd?

Nur ein großer Optimist kann sich bei den Antworten auf all diese Fragen beruhigt zurücklehnen.