Zurück zu den Wurzeln. - Was kann Rostock aus der Finanzkri ...
Wie Phönix aus der Asche taucht mit der aktuellen Finanzkrise ein Begriff wieder auf, der in den letzten Jahren überaus verpönt war: die Verstaatlichung. Der selbst von hohen Regierungsvertretern geäußerte Ruf nach Verstaatlichung im Kontext des 500-Milliarden-Bankbürgschaftspakets ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Angesichts des tatsächlichen Wortlauts des schnell gestrickten Bankenstabilitätsgesetzes und der folgenden Praxis soll mit den rein verbalen Bekundungen eher des Volkes Zorn beruhigt werden, wohl wissend, dass nahezu Zweidrittel der Bevölkerung stärkere staatliche Interventionen befürworten (s. Allensbachstudie: F.A.Z vom 22.10.08). Mitnichten wird derzeit eine tatsächliche staatliche Übernahme von Banken oder eine echte Beteiligung, geschweige denn eine transparente staatliche und öffentliche Einflussnahme auf die in der Banken- und Unternehmenswelt angesiedelten hochdotierten Empfänger staatlicher Leistungen realisiert.
Privatisierung und Liberalisierung sind gescheitert
Schließlich muss stutzig machen, dass vorhandene staatliche Banken genauso am Kapitalmarkt mitgezockt haben wie private Banken und der Staat in keiner Weise regulierend eingegriffen hat. Im Gegenteil: Die staatlichen Unternehmen wurden bewusst privatrechlich organisiert und auf den sogenannten Markt gebracht, auf dem sie sich nach den üblichen Regeln des freien Spiels der Kräfte betätigen sollten – mit den bekannten Folgen. Die propagierte Selbstheilung des Marktes hat versagt. Kann nun der Staat den Markt heilen und vor allem - kann der Staat sich selbst, also auch seine eigenen Unternehmen heilen? Nach der Wende hat in Deutschland eine schier unbremsbare Entstaatlichungs- und Privatisierungspolitik gewütet, öffentliche Ressourcen wurden verscherbelt, Arbeitsplätze vernichtet, Tariflöhne ausgehebelt, Lohndumping betrieben und HartzIV-Armut erzeugt. Ein entfesselter Finanzmarktkapitalismus hat den Wohlfahrtsstaat mit seinen Grundfesten der Daseinsvorsorge und Demokratie zu Markte getragen und dort, wo er mit der Gewinnmaximierung kollidierte, entsorgt.
Zurück zu den staatlichen Aufgaben
Was ist also zu tun? Eine Umkehr ist möglich – wenn die Bereitschaft besteht, zurück zu den Wurzeln der eigentlichen Aufgaben des Staates mit seinen demokratisch und öffentlich kontrollierbaren Organisationsstrukturen zu gelangen. Wohlgemerkt – eine Rückkehr heißt nicht, dieselben Fehler wieder zu machen oder den staatlichen Schlendrian zu pflegen. Es geht vielmehr darum, dass der Staat sich auf seine originären öffentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge unter Wahrung des Friedens, einer gesunden Umwelt, der Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit besinnt. Es geht darum, dass der Sozialstaat wieder die ihm gebührende öffentliche Wertschätzung erfährt. Es geht darum, dass der Staat seine Aufgaben frei von Profit- und Partikularinteressen und frei von Wettbewerbszwängen wahrnehmen kann. Es geht darum, dass der Staat transparent und öffentlich kontrollierbar ist. Dazu sind demokratische Strukturen und öffentlich-rechtliche Organisationsformen die zwingende Voraussetzung.
Öffentliche Aufgaben dem Markt entziehen
Überall also, wo der Staat, die Bundesländer, Städte und Gemeinden ihre Aufgaben vollständig oder teilweise privatisiert haben bzw. diese als Kapitalgesellschaften privat-rechtlich betreiben und damit den Markt- und Wettbewerbsgesetzen unterliegen, überall sollte versucht werden, die Aufgaben wieder in öffentliche Verwaltungen bzw. öffentlich-rechtliche Betriebe zu überführen. Öffentliche Aufgaben, ob klein oder groß, taugen nicht für einen aggressiven Markt.
Der Unterschied zwischen einem privaten Unternehmen bzw. einem privatrechtlich organisierten staatlichen Unternehmen (z.B. Kapitalgesellschaft) und einer öffentlichen Verwaltung bzw. einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen (z.B. Eigenbetrieb) besteht darin, dass die letzteren keine rechtlich selbständigen Einheiten sind. Sie sind Teil der öffentlichen Verwaltung. Sie unterliegen daher weder dem Wettbewerbsrecht noch dem Gesellschafts-, Handels- oder Aktienrecht. Sie sind nicht darauf angewiesen, sich auf einem aggressiven, auf Maximierung des Gewinns ausgerichteten Markt zu behaupten. Sie können nicht in Insolvenz fallen und ihre Leistungsfähigkeit ist dauerhaft garantiert.
Die öffentliche Grünpflege ist nicht markttauglich
An dem überschaubaren Rostocker Beispiel der städtischen Park- und Grünflächenpflege, die die Stadt aus logisch nicht erklärbaren Gründen privatisieren möchte, kann der Unterschied verdeutlicht werden. Bisher lässt die Stadt die öffentliche Grünpflege durch städtische Angestellte erledigen, die nach Tarif bezahlt werden. In den Haushalts- und Stellenplänen der Stadt liegt offen, zu welchen Konditionen die Leistungen erbracht werden. Die Arbeit kann öffentlich kontrolliert werden. Auf Standard und Qualität, Anzahl der Stellen etc. kann in öffentlicher Sitzung der Bürgerschaft und der Ausschüsse sowie durch Initiativen von Einwohnerinnen, Einwohnern und Abgeordneten Einfluss genommen werden. Die städtischen Angestellten sollen effizient arbeiten, was sie auch tun, sie brauchen mit ihrer Arbeit jedoch keinen Gewinn zu erzielen. Dafür braucht die Stadt auch nicht zusätzlich zu zahlen. Da die Angestellten der Stadt die Grünpflege betreiben, ist diese Leistung nicht ausschreibungspflichtig.
Privatisierung verhindert eine aktive lokale Beschäftigungspolitik
Wenn die Stadt die öffentliche Grün- und Parkpflege nicht mehr mit eigenen Angestellten erledigen will, muss sie diese Leistung öffentlich ausschreiben. Sie darf aus guten Gründen der verbotenen Wettbewerbsverzerrung nicht einfach einer Firma Rostockgrün oder der Firma Müller den Auftrag erteilen, auch dann nicht, wenn z.B. die Firma Rostockgrün zu Hundert Prozent im Eigentum der Stadt, jedoch privatrechtlich, z.B. als GmbH, geführt wird. Bei Ausschreibungspflicht besteht die Möglichkeit, dass der Zuschlag auch an externe Betriebe gehen könnte und die Beschäftigten der Region das Nachsehen haben. Eine aktive lokale Arbeitsmarktpolitik ist dann nicht mehr möglich.
Übernimmt ein privatrechtliches Unternehmen die Aufgaben, so ist dieses Unternehmen selbstverständlich den Marktregeln unterworfen. Auf die Tarif- und sonstigen Beschäftigungsbedingungen kann nicht mehr unmittelbar Einfluss genommen werden. Das Unternehmen, wie jeder ordentliche Kaufmann, strebt selbstverständlich danach, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Diesen hat die Stadt dann auch zu zahlen, entweder unmittelbar durch eine höhere Auftragssumme oder mittelbar durch geringere Qualität oder niedrigere Löhne, denen wiederum niedrigere Steuern und eine geringere Kaufkraft folgen, sofern die Beschäftigten ihre Steuern und Ausgaben überhaupt in der Stadt oder Region tätigen. Aus diesen Gründen wird ersichtlich, warum es sinnvoll wäre, die seit einigen Jahren bestehende Absicht, das Grünflächenamt der Stadt zu privatisieren, endlich ad acta zu legen. Eine touristische Stadt am Meer sollte zudem größten Wert auf das äußere Erscheinungsbild der Grünanlagen und Parks legen und sich den unmittelbaren Einfluss darauf nicht nehmen lassen.
Rekommunalisierungsbeispiele für Rostock
Eine Absicht nicht zu realisieren, wie am kleinen Beispiel des Grünflächenamtes oder des viel größeren Beispiels des Börsengangs der Bahn, ist einfacher als eine bereits erfolgte Privatisierung rückgängig zu machen. Beispiele aus anderen Gemeinden und Ländern zeigen jedoch, dass auch die Rekommunalisierung möglich ist und langfristig zu Vorteilen für die Bevölkerung führt.
Überzeugende Beispiele kommen aus der Energiewirtschaft, wo Kommunen es geschafft haben, wieder selbst die Stromproduktion bzw. -lieferung zu organisieren und sich damit der Preistreiberei der Energiekonzerne zu entziehen. Auch für Rostock würde es sich lohnen, über eine eigene städtische Stromproduktion nachzudenken (anstatt weitere Anteile der Stadtwerke zu verkaufen) - angesichts der Wind-, Sonnen- und Wasserbedingungen vor Ort sowie der enormen Anzahl an städtischen Dachflächen, dem hohen städtischen Wohnungsbestand und den sonstigen noch vorhandenen städtischen Flächen.
Die Ausgangsbedingungen der beteiligten Unternehmen und unterschiedlichen Organisationsformen, der Stadtwerke, RVV, WIRO, KOE und Stadtverwaltung sind ziemlich komplex und erfordern ein kluges Gesamtkonzept. Vielleicht bieten die Kommunalwahlen im nächsten Jahr die Chance, das Thema „Die Stadt produziert ihren eigenen Strom“ gesellschafts- und mehrheitsfähig zu machen. In einigen Jahren läuft der Konzessionsvertrag mit EURAWASSER aus. Auch hier böte sich die Gelegenheit, das Wasser wieder in die originäre städtische Verantwortung zu übernehmen. Die bestehenden Initiativen „Wasser in Bürgerhand“ haben bereits anderenorts wertvolle Vorarbeit geleistet.
Beispiel Stadtentsorgung und Recyclinghöfe
Ein aktuelles Beispiel dafür, dass die Privatisierungsstrategien im Sinne einer lokalen Entwicklung nicht zukunftsfähig sind, liefert das Beispiel der Bewirtschaftung der Recyclinghöfe in der Hansestadt Rostock. Bisher hat das mehrheitlich städtische Unternehmen Stadtentsorgung Rostock GmbH im Auftrag der Stadt die Recyclinghöfe bewirtschaftet. Da der Vertrag zum Ende des Jahres ausläuft, musste die Stadt eine öffentliche Ausschreibung vornehmen. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen war die Fortsetzung der weiteren Beauftragung des städtischen Unternehmens nicht mehr möglich. In Folge der Ausschreibung und der Angebotsprüfung sollte der Zuschlag nicht an das hiesige Unternehmen, sondern an ein auswärtiges Unternehmen erfolgen, das das wirtschaftlichere Angebot abgeliefert hat. Für die Stadtentsorgung Rostock GmbH ist die Bewirtschaftung der Recyclinghöfe ein wichtiges Standbein, das Einnahmen und Arbeitsplätze garantiert. Der Wegfall dieses Leistungsbereichs würde dem Unternehmen Schwierigkeiten bereiten. Unsicherheit machte sich breit, auch hinsichtlich der künftigen Tarifbedingungen.
Aufgrund einer fragwürdigen politischen Intervention hat die Bürgerschaft auf ihrer Sitzung im Oktober diesen Jahres beschlossen, entgegen Vergabevorschlag dem Rostocker Unternehmen den Zuschlag zu erteilen. Dies würde nach den bekannt gewordenen Details eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Ohne das Vergabeverfahren im Einzelnen hier bewerten zu können, klar ist, dass weder politische Gründe zu den rechtlich zulässigen Vergabekriterien gehören, noch ortsansässige Unternehmen oder städtische Beteiligungen bevorzugt werden dürfen. Außerdem kann nach Ablauf der nächsten Vertragslaufzeit in fünf Jahren wieder eine ähnliche Situation entstehen, die das hiesige Unternehmen außen vor lässt.
Rekommunalisierung sichert Arbeitsplätze in der Region
Die Motive der Bürgerschaft, ein hiesiges Unternehmen und hiesige Beschäftigte zu unterstützen, sind ehrenwert. Allerdings darf diese Unterstützung nicht gegen vergabe- und wettbewerbsrechtliche Regeln verstoßen. Zumal es einen anderen Weg gibt, aus dem Dilemma herauszukommen. Die Stadt könnte die Recyclinghöfe wieder selbst betreiben, entweder bei einem der Ämter oder beim Eigenbetrieb KOE angliedern, neue Stellen schaffen, auf die sich selbstverständlich auch erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtentsorgung Rostock GmbH bewerben können. Die Rekommunalisierung der Recyclinghöfe würde lokale Beschäftigung, Tarifsicherheit und unmittelbare städtische Einnahmen garantieren. Die weitere Übernahme von Geschäftszweigen der Stadtentsorgung könnte folgen. Schließlich sollen die Erträge aus dem lukrativen Müllgeschäft in der Stadt bleiben. Das Beispiel der Recyclinghöfe zeigt deutlich auf, dass über kurz oder lang die EU- und wettbewerbsrechtlichen Vorgaben die Städte zwingen werden, entweder wieder in eigener Verantwortung Aufgaben zu erledigen oder sich einflusslos in Abhängigkeiten Dritter zu begeben.
Die Privatisierungs- und Liberalisierungseuphorie der 90er Jahre hat nicht nur im Müllbereich zu Überkapazitäten und Preistreiberei geführt, vor allem in den von großen Konzernen getragenen Bereichen des Energie-, Wasser- und Verkehrssektors. Wenn diese Konzerne nun im Zuge der Finanzkrise in den Abwärtsstrudel geraten, sollten Bund, Länder und Gemeinden die Situation nutzen, um sich selbst zu ermächtigen, die zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge wieder in staatliche Verantwortung unter öffentlicher Kontrolle zu übernehmen. Die Bevölkerung ist mehrheitlich dafür und wird es ihnen danken.
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