24. bis 26. August: Gedenkveranstaltungen und Possenspiele 2 ...
Das vergangene Wochenende hatte es in sich. Eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen erinnerten an die Pogrome vor 20 Jahren in Rostock Lichtenhagen am Sonnenblumenhaus, nicht alle davon konnten oder wollten dem historischen Datum Rechnung tragen.
Unpolitisches Konzert der Grünen in Rostock am Stadthafen
Bereits diesen Freitag fand im Rostocker Stadthafen ein Konzert unter dem Titel „Lichtenhagen bewegt“ statt. Organisiert wurde das groß beworbene Konzert offiziell von dem Verein „Bunt statt braun“. Die von Grünen und SPD dominierte „Bürger_Inneninitiative“ musste dabei als Tarnorganisation herhalten, um eine vermeintliche Überparteilichkeit vorzutäuschen. Guckt mensch auf die Unterstützer_Innenliste und nach den Verantwortlichen, tauchen
allerdings fast nur Bündnis90/Die Grünen auf. So hat beispielsweise der „Demokratiefonds“ der Bündnisgrünen Landtagsfraktion Geld gegeben, der ASTA der Universität Rostock hat unter anderem auf Drängen der Grünen das Konzert offiziell unterstützt und in seinem Newslettern beworben und auch die grüne Heinrich-Böll Stiftung MV bezuschusste die Aktion ordentlich. Hunderte Plakate und Postkarten machten seit Wochen auf das Konzert in der Rostocker Innenstadt aufmerksam. Ein Plakat in den äußeren Gebieten der Stadt, wie etwa Lichtenhagen selbst, suchte mensch vergeblich und so blieb das Klientel des „Bunt statt braun“ auf der Haedgehalbinsel letztlich auch fast unter sich.
Neben unpolitischer Musik, unter anderem von „Die Reise“ und „17 Hippies“, wurden einige Videocollagen in den Umbaupausen gezeigt. Die Stimmung während des Konzerts war ausgelassen fröhlich, von einer Erinnerung an die Todesangst von über 100 Menschen vor 20 Jahren im Sonnenblumenhaus war nichts zu spüren und so müssen sich die Veranstalter_Innen dieses Konzerts den Vorwurf gefallen lassen, das Thema wieder einmal völlig verfehlt zu haben. Die wirklich wichtigen Aktivitäten würden an diesem Wochenende ohne „Bunt statt braun“ e.V. und seine Schön-Wetter Kampagne „Lichtenhagen bewegt sich“ stattfinden.
Eine Plakette für das Rathaus
Bereits am Vormittag des 25. August fanden sich auf dem Rostocker
Neuen Markt 2.000 Teilnehmer_Innen zu einer Kundgebung ein. Vertreter_Innn
antirassistischer Initiativen wiesen darauf hin, dass das Pogrom bis heute auch für eine unglaubliche Ignoranz politischer Verantwortungsträger gegenüber den Betroffenen steht.
Wenige Monate nach den Pogromen in Lichtenhagen versuchte die Gruppe „Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs“ um Beate Klarsfeld am Rostocker Rathaus eine Erinnerungsplakette für die Opfer der Pogrome anzubringen. Damals wurde Klarsfeld mit 42 anderen Aktivist_Innen dafür eingesperrt und die Tafel beschlagnahmt.
Während der Kundgebung vergangenen Sonnabend war der Platz voll mit Menschen. In einer eindrucksvollen Rede schilderte Abou Bacar Sy seine Erfahrungen im Mecklenburg-Vorpommerschen Erstaufnahmelager Horst. Er beschrieb das unmenschliche deutschen Asylregime – mit Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Gutscheinsystem, dauerhaft unsicherem Aufenthaltsstatus, ständigen Polizeikontrollen und rassistischen Bemerkungen im Alltag.
Unter großem Beifall konnten Cornelia Kerth und Heinrich Fink, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, am Rathaus mit Billigung des Oberbürgermeisters am Ende der Kundgebung ein Duplikat der ursprünglichen Gedenktafel anbringen. Damit wurde den ursprünglichen Initiatoren der Tafel historische Gerechtigkeit getan. Anschließend wurde ein Grußwort Klarsfeld verlesen, die leider nicht selbst anwesend sein konnte. Darin griff sie erneut die aggressive und angesichts der Untätigkeit gegenüber dem rassistischen Mob umso empörendere Behandlung Seitens der Polizei vor 20 Jahren und danach scharf an.
6.000 bei der Demonstration „Grenzenlose Solidarität“
Die mit Abstand größte Veranstaltung an diesem Wochenende bildete die zentrale Demonstration „Grenzenlose Solidarität“, zu der neben der VVN-BdA unter anderem von den Bündnissen „Rassismus tötet“ und „Das Problem heißt Rassismus“ aufgerufen wurde. Etwa 6.000 Menschen sammelten sich gegen 14 Uhr am Busbahnhof Rostock Lütten Klein. Als dann endlich die letzten Züge und Busse mit weiteren Demonstrationsteilnehmer_Innen am Bahnhof angekommen waren, ging es mit einer knappen Stunde Verspätung los. Mit bunten Transparenten, Fahnen und Schildern zog sich der unendlich lang erscheinende Tross erst über die Autobahnbrücke beim Bahnhof in Lütten Klein und erstreckte sich schließlich über die Warnow Allee in Richtung Lichtenhagen.
„Grenzenlose Solidarität“ und „Das Problem heißt Rassismus“ stand unter anderem auf den vordersten Transparenten. Wochen- und monatelang hatte die lokale Politik unterstützt von der hiesigen Springerpresse einen gewaltbereiten, vermeintlich linksextremen Mob stilisiert, der sich zur Demo in Rostock verabreden würde. Sie alle wurden enttäuscht. Der friedliche Verlauf ist sicher auch der Zurückhaltung der Polizei geschuldet, denn wo kein Provokateur, da auch keine Reaktion. Während der Auftaktkundgebung, den beiden Zwischenkundgebungen und der Abschlusskundgebung sprachen insgesamt über 20 Vertreter_Innen aus hauptsächlich antirassistischen Organisationen. Der kilometerlange, entschlossene Demonstrationszug setzte damit ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und Neofaschismus im Alltag. "Rassismus ist kein Randphänomen“, erklärte ein Sprecher des Berliner Bündnisses. Und weiter: „Er wächst in der Mitte der Gesellschaft. Klar ist aber auch: Wo immer rassistische Gewalt aufbricht, müssen und werden wir entschlossen einschreiten."
Zur Demonstration hatten mehr als 100 Antifa-Gruppen, Flüchtlingsräte,
migrantische Gruppen, Gewerkschafter_Innen, Jugendgruppen, Bands, linke Gruppen, dänische Antifaschist_Innen und einzelne Parteivertreter_Innen aufgerufen.
Am Ende der durchweg friedlichen, aber entschlossenen, Demonstration wartete eine musikalische Abschlusskundgebung in Blickweite des Sonnenblumenhauses in Lichtenhagen.
Musikalische Abschlusskundgebung „Beweg dich für Bewegungsfreiheit“
Gegen 18Uhr30 begann die letzte Kundgebung für diesen Tag in Rostock. Etwa 1.000 Menschen nahmen an der musikalischen Abschlusskundgebung „Beweg dich für Bewegungsfreiheit“ teil.
Auch hier blieb es bis auf einige Provokationen örtlicher Neonazis friedlich und entspannt. Bis halb elf Uhr abends lauschten Viele unter anderem dem Stück „Asylmonologe“, das sich in beeindruckender Authentizität mit der Lebenssituation von Asylbewerbern beschäftigt. Neben weiteren kuren Redebeiträgen traten unter anderem die Band „Frittenbude“ auf. Besonders viel Applaus und Anerkennung erhielt allerdings die allseits beliebte Rostocker Band „Feine Sahne Fischfilet“.
World Café „Lichtenhagen, NSU und alle schauen zu...“
Auch am Sonntag konnten antifaschistische und antirassistische Gruppen Akzente setzen. Wieder war es die VVN-BdA, die zu einem World Café unter dem Titel „Lichtenhagen, NSU und alle schauen zu...“ einlud, sich im Peter-Weiß Haus zu treffen und zu diskutieren. Etwa 50 Menschen folgten der Einladung und tauschten sich unter anderem intensiv darüber aus, wie Solidarität praktisch
werden kann.
Bei gutem Wetter und entspannter Laune konnten Einige auch noch nach dem World Café im Freigarten des Peter-Weiß Hauses sitzen und sich von dem zwar erfolgreichen, aber auch anstrengendem Wochenende zu erholen.
Gauck und die deutsche Eiche in Lichtenhagen
Die Imagekampagne der Stadt Rostock „Lichtenhagen bewegt sich“ hatte für den Sonntag ausgerechnet den Bundespräsidenten Joachim Gauck nach Lichtenhagen eingeladen.
Dass am Sonntag auf einer offiziellen Veranstaltung nicht nur ausgerechnet
eine „deutsche Eiche“ als Erinnerungsbaum an das rassistische Pogrom gepflanzt und Kritik_Inner im Publikum, die ihm „Heuchelei“ vorwarfen, von Gauck unter anderem mit Neonazis in einen Topf geworfen wurden, verwundert nicht. Gauck hatte sich 1992 mit keinem Wort gegen das Pogrom geäußert. Auch erklärte das Bündnis „Das Problem heißt Rassismus“ hierzu: "Stadt und Staat behaupten, sie hätten aus den Pogromen "gelernt". Gleichzeitig läuft die Abschiebemaschinerie reibungslos, und Ressentiments sind alltäglich, heute insbesondere der antimuslimische Rassismus.
Am Rande der Veranstaltung wurden zwei Mitgliedern des deutsch-afrikanischen Freundeskreises Daraja e.V. der Einlass zur Gedenkveranstaltung der rassistischen Pogromen von vor 20 Jahren verwehrt – trotz offizieller Einladung und ohne Begründung. In einem kurzen Video (LINK) erklären die beiden ihre Fassungslosigkeit über das Verhalten der Organisator_Innen der Veranstaltung. Torsten Sohn (Grüne), Geschäftsstellenleiter von „Bunt statt braun“ e.V. und
Hauptorganisator der Kampagne „Lichtenhagen bewegt sich“ wird
sich die kommenden Tage für die scheinbar rassistische
Selektionspolitik am Einlass der Gauck-Veranstaltung rechtfertigen
müssen. Einen ausführlichen Artikel von der Veranstaltung gibt es
unter anderem auf Kombinat Fortschritt. (LINK)
Nach Lichtenhagen ist vor Lichtenhagen
Die Veranstaltungen zum Gedenken an den 20. Jahrestag das rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen waren ein großer Erfolg, der Mut macht, weiter gegen Rassismus in Deutschland zu kämpfen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass rassistische Vorurteile auch heute noch in vielen Köpfen stecken. Selbst in der Verwaltung der Stadt und in selbsternannten Bürger_Inneninitiativen herrscht dieser Ungeist offenbar immer noch. Das enge Zusammenspiel von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen bleibt deshalb bitter nötig. Wir danken allen Menschen, die sich in den verschiedensten Formen an den unterschiedlichen Veranstaltungen beteiligt haben und mahnen
gleichzeitig zur Wachsamkeit gegenüber Fremdenfeindlichkeit und Ignoranz. Nicht nur in Lichtenhagen fanden solche und schlimmere Pogrome statt. Auch künftig werden wir auf die Straßen gehen und dem rassistischen Normalzustand entgegentreten.
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INO
Beschreibung
Als Infoportal für antifaschistische Kultur und Politik aus Mecklenburg-Vorpommern berichten wir über gesellschaftliche Missstände im Nordosten der Bundesrepublik und dem Rest der Welt. Wir zeigen Möglichkeiten des Widerstandes und Alternativen zum bürgerlichen System auf, um der kapitalistischen Verwertungslogik - die soziale Ungleichheit, den ökologischen Kollaps und nicht zuletzt das Erstarken von rassistischen, sexistischen, antisemitischen und anderen reaktionären Einstellungen mit sich bringt – entgegen zutreten.
Antifaschismus bedeutet für uns mehr, als nur „Gegen Nazis“ zu sein. Die Untersuchung der Ursachen für faschistische Regime der Vergangenheit und der Gegenwart sind genauso Aufgaben einer emanzipierten Linken, wie die Bekämpfung des weiter erstarkenden Rechtspopulismus, der seine islamophoben Ansichten in bürgerlich-rechtsstaatlichen Meinungen zu verbergen sucht.
Die Ausgrenzung von Minderheiten, wie vermeintliche Ausländer und Andersdenkende, gehören immer noch zum Alltag in der Bundesrepublik und in M-V. Der Kampf gegen neofaschistische Einstellungen muss für uns auf allen Ebenen geführt werden: auf den Straßen, in den bürgerlichen Parlamenten und besonders in den Köpfen der Menschen.
Der Schutz der Ökologie ist für uns ebenso wichtig, wie der unmittelbare Kampf gegen den Kapitalismus. Als Teil des Ökosystems der Erde sind wir Menschen nicht „Krone der Schöpfung“. Wir sind Teil der Ökologie und müssen uns als solchen begreifen. Selbst hier hat die kapitalistische Gewinngier einen übergroßen Anteil an der ständigen Zerstörung der Umwelt und Natur. Auch gegen diese Vergewaltigung an dem Planeten Erde setzen wir uns zu wehr.
Ein Aufruf zum Mitmachen!
Neben der Durchführung von direkten Aktionen und Kampagnen ist eine ausführliche Berichterstattung und damit die Weitergabe und Vermittlung grundlegenden Wissens und wichtigen Erfahrungen, einer der notwendigsten Aufgaben der antifaschistischen Bewegung. Und da wir alleine diese Gesellschaft nicht überwinden können und wollen, seit ihr gefragt:
Ist euch etwas passiert oder habt ihr etwas gesehen, dass euch bewegt hat? Habt ihr ein interessantes Thema, über das ihr einen kurzen Bericht schreiben wollt? Dann schreibt das auf und wir veröffentlichen das. Schön wäre es auch, wenn ihr ein passendes Bild (beachtet dabei die Urheberrechte) zu eurem Artikel habt. Eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge ist dabei mit Absprache des Autors bzw. der Autorin möglich. Auch Aufrufe zu Demonstrationen, Kampagnen oder Termine für Veranstaltungen, wie Lesungen, Konzerte oder noch ganz andere Sachen sind gern gesehen! Habt ihr einen Artikel, den ihr bereits einmal veröffentlicht habt, den ihr aber noch mehr als bisher der Öffentlichkeit zugänglich machen wollt? Auch kein Problem! Fragt einfach per Mail nach. Jeder gute Artikel und jeder wichtige Termin ist bei uns willkommen.
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Kommentare
Ergänzungen
die zwei im Text fehlenden Links sind meiner Meinung nach folgende:
Und aktuell noch ein Hinweis, die gepflantze Eiche ist mittlerweile nur noch 1m hoch - abgesägt von der einer selbsternannten AG Fuchsschwanz.