Rostock: Weshalb Gauck nichts in Lichtenhagen zu suchen hat ...
Dieses Wochenende jähren sich die
Pogrome in Rostock Lichtenhagen zum 20. Mal. Mehrere tausend Menschen
belagerten tagelang das sogenannte Sonnenblumenhaus, indem neben der
ehemaligen Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber_Innen (ZAST) auch
ein Wohnheim ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter_Innen war.
Lichtenhagen bewegt sich? Kannste
abhaken.
Der 26. August bildet den Höhepunkt
der städtischen Lichtenhagen-Kampagne „Lichtenhagen bewegt sich“,
der immer wieder nachgesagt wird, eine bloße Imagekampagne der Stadt
und des Stadtteils zu sein. Über 100 kleinere Veranstaltungen hat
diese Kampagne, die federführend vom „Bund statt braun“ e.V. -
also von SPD und Grünen – gestaltet wird, immerhin schon
organisiert. Die meisten dieser Veranstaltungen waren jedoch
Kulturveranstaltungen, die sich wenig oder gar nicht mit den Ursachen
der Pogrome beschäftigten.
Fahrrad fahren und fröhliches
Lieder singen – ist das nicht viel schöner als Ursachenforschung?
Mit mehreren zehntausend Flyern wird
der Zeit eine Fahrrad Demo nach Lichtenhagen beworben. Von Insgesamt
12 Startpunkten sollen die Menschen aus der ganzen Hansestadt mit
Fahrrädern und anderen Vehikeln nach Lichtenhagen fahren. In dem
Flyer heißt es unter anderem „Lasst uns zeigen, dass Rostock sich
seit 1992 verändert hat und Fremdenfeindlichkeit und Rassismus kein
Platz mehr haben.“ Eigenartig ist dieser Satz schon, aktuell sitzen
zwei Abgeordnete der faschistischen NPD in der Rostocker
Bürgerschaft, aktive Nazigruppen treiben in vielen Stadtteilen ihr
Unwesen.
In Lichtenhagen angekommen, soll der
Sänger Gerd Schöne mit 300 angekündigten Kindern auf einer
bombastischen Bühne singen. Zwar hat Schöne durchaus passende
Lieder für so einen Anlass – stellvertretend seie hier nur das
Lied „Spatzen und Villensittich“ genannt – aber auch bekannte
Lieder wie „Ein Popel“ gehören zu seinem möglichen Programm.
Was er letztlich wirklich spielen wird, ist noch unbekannt.
Joachim Gauck und eine deutsche
Eiche
Doch ist das fröhliche Kinderlieder
singen 20 Jahre nach dem Pogrom nicht der einzige und schon gar nicht
der letzte Hohn auf die Opfer. Als „Erinnerung und Mahnung“ wird
an diesem Tag ein Baum gepflanzt. Es handelt sich nicht um irgend
einen Baum. Eine deutsche Eiche soll es sein. Immerhin waren es ja
auch deutsche Verhältnisse, die zu den Pogromen überhaupt erst
führten. Welche Gedankengänge müssen eigentlich in einem Menschen
vorgehen, der sich solch eine pervertierte Veranstaltung ausdenkt?
Als letzter Coup des Tages kommt
anschließend der Bundespräsident Joachim Gauck höchstpersönlich
nach Lichtenhagen, um dort vor bis zu 1.000 erwarteten Menschen zu
sprechen. Gauck war Anfang der 90er Jahre Pfarrer in Rostock. Obwohl
der studierte Theologe als Redner – unabhängig von seinen Inhalten
– nicht zu unterschätzen ist, kam von dem Evangelisten kein Wort
in jenen Augusttagen, als das Sonnenblumenhaus brannte und über
einhundert Menschen um ihr Leben fürchten mussten. Er zog es vor,
nichts zu sagen. Nirgends ließ er sich blicken und wie so viele neue
und alte Bundesdeutsche ließ er die Geschehnisse gleichgültig an
sich vorüberziehen. Was er diesen Sonntag sagen wird, bleibt
spannend. Vielleicht spricht er Thilo Sarrazin bei der Gelegenheit
erneut „Mut“ für sein rassistisches Buch „Deutschland schafft
sich ab“ aus. Wir werden sehen.
Die „zentrale Gedenkveranstaltung der
Hansestadt Rostock“, wie das schizophrene Spektakel am Sonntag von
den Organisator_Innen genannt wird, scheint mehr ein perfider
Versuch, sich vermeintlich tolerant zugeben. Gleichzeitig werden
politisch zweifelhafte Politiker_Innen eingeladen und der breiten
Bevölkerung vorgegauckelt, sie könnten mit der Teilnahme an den
Veranstaltungen der städtischen Kampagne ein Zeichen setzen. Selbst
die Partei Die Linke, die sich sonst immer klar gegen Joachim Gauck
stellte, rudert diesmal mit. Offenbar nicht umsonst bekam die
Kampagne „Lichtenhagen bewegt sich“ bei einem Benefizkonzert
einen Preis über 3.000€ von der Bundes- und Landespolizei.
Lichtenhagen bewegt sich? Mit diesen Leute kein Stück!
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Als Infoportal für antifaschistische Kultur und Politik aus Mecklenburg-Vorpommern berichten wir über gesellschaftliche Missstände im Nordosten der Bundesrepublik und dem Rest der Welt. Wir zeigen Möglichkeiten des Widerstandes und Alternativen zum bürgerlichen System auf, um der kapitalistischen Verwertungslogik - die soziale Ungleichheit, den ökologischen Kollaps und nicht zuletzt das Erstarken von rassistischen, sexistischen, antisemitischen und anderen reaktionären Einstellungen mit sich bringt – entgegen zutreten.
Antifaschismus bedeutet für uns mehr, als nur „Gegen Nazis“ zu sein. Die Untersuchung der Ursachen für faschistische Regime der Vergangenheit und der Gegenwart sind genauso Aufgaben einer emanzipierten Linken, wie die Bekämpfung des weiter erstarkenden Rechtspopulismus, der seine islamophoben Ansichten in bürgerlich-rechtsstaatlichen Meinungen zu verbergen sucht.
Die Ausgrenzung von Minderheiten, wie vermeintliche Ausländer und Andersdenkende, gehören immer noch zum Alltag in der Bundesrepublik und in M-V. Der Kampf gegen neofaschistische Einstellungen muss für uns auf allen Ebenen geführt werden: auf den Straßen, in den bürgerlichen Parlamenten und besonders in den Köpfen der Menschen.
Der Schutz der Ökologie ist für uns ebenso wichtig, wie der unmittelbare Kampf gegen den Kapitalismus. Als Teil des Ökosystems der Erde sind wir Menschen nicht „Krone der Schöpfung“. Wir sind Teil der Ökologie und müssen uns als solchen begreifen. Selbst hier hat die kapitalistische Gewinngier einen übergroßen Anteil an der ständigen Zerstörung der Umwelt und Natur. Auch gegen diese Vergewaltigung an dem Planeten Erde setzen wir uns zu wehr.
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Kontaktdaten
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Kommentare
Vielen Dank erst einmal für
Vielen Dank erst einmal für deinen Artikel :)
Persönlich finde ich erst einmal jede Aktivität, die in der Lage ist die Multikultur und das Miteinander für alle sichtbar zu machen, eine tolle Sache. Ein bißchen geht es mir da wie dir, ich vermisse etwas konkretes auf die Vorfälle bezogenes. Deshalb aber gleich die ganze Aktion nieder zu machen ist glaube ich nicht angemessen. Ich für meinen Teil habe mich nicht an der Organisation beteiligt, wie könnte ich da erwarten, dass der Fokus auf eine mir genehme Weise gesetzt wird?
Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung fand ich diesen Kommentar hier sehr ehrlich: http://blog.tagesschau.de/2012/08/22/das-problem-heist-rassismus/
Natürlich ist jede
Natürlich ist jede Veranstaltung, die auf die Pogrome aufmerksam machen will, etwas Gutes und zu begrüßen. Die Veranstaltungen von "Lichtenhagen bewegt sich" haben dieses Ziel allerdings nicht. Im Gegenteil. Immer wieder wurde gebetsmühlenartig gepredigt, dass es viele kleine Aktionen und Veranstaltungen geben müsse. Bloß nichts großes - das wäre ja auffällig und könnte dazu führen, dass sich die Menschen für das Thema interessieren. Das eigene Image aufpolieren - mehr will die Stadt nicht.