Ulrich Rabe - Mein 8.Mai 1945
Ulrich Rabe galt während des Nationalsozialismus
in der Sprache der Nazis als "Halbjude". Verschleppt aus seiner Heimat durchlitt er wie millionen Andere die Schrecken des NS-Terror. Hier erzählt er, wie er den Tag der Befreiung erlebte.
Am 26. April 1944 wurde ich zur Zwangsarbeit nach Frankreich deportiert. Warum? Was hatte ich verbrochen?? Na, ganz einfach: ich hatte eine jüdische Mutter! So galt ich bei den Nazis als „Halbjude“. Eine völlig irre, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechende Konstruktion, mit
der man Rassenhass und Massenmord begründen wollte. Zunächst
vernichteten die Nazis Menschen, die sie als Juden, Zigeuner, nicht
lebenswert einstuften. Halbjuden und andere Diskriminierte mussten sie
aber zunächst schonen. Die Arbeitskräfte wurden durch den Krieg immer
knapper. Besonders für schwere, sehr gefährliche Arbeiten brauchten sie
billige Kräfte. So wurden auch wir, die unter zwanzigjährigen
„Halbjuden“, zu Gleisarbeiten nach und bei Luftangriffen eingesetzt.
Nach der Invasion trieb man uns in Richtung Deutschland. Später gelang es mir, den Klauen der Nazis zu entkommen und in die amerikanische Kriegsgefangenschaft zu fliehen. Jetzt
wurde ich zwar immer noch von Bewaffneten bewacht, lebte hinter
Stacheldraht und was sonst zu einer Gefangenschaft gehört --- aber ich war durch Gesetze wie die Zweite Genfer Konvention aus dem Jahr 1929 geschützt, ich lebte nicht mehr unter der Bedrohung, eines Tages vernichtet zu werden. Kurz gesagt, ich war wieder ein Mensch. Nun
fehlte mir nur noch die Freiheit, der Weg nach Hause, zu meinen Lieben,
zu meinen Freunden, der Weg zu einem Beruf, zu einem selbst bestimmten
Leben. Eines Tages hörte ich die amerikanischen Soldaten und die
marokkanischen Wachen übermütig jubeln. Sie schossen wie die Wilden in
die Luft: Es war der 8.Mai 1945, der Krieg war zu Ende. Sie freuten sich auf ihr zuhause. Mit Tränen stand ich hinter dem Stacheldraht: ich werde bald wieder ein Mensch wie andere auch sein. Nun war auch für mich der Weg frei nach Hause. So glaubte ich. Aber ich wurde ja in der Englischen Besatzungszone entlassen, nicht in der Sowjetischen Besatzungszone,
in der ich wohnte. Die sowjetischen Grenzwachen ließen Niemanden durch
– es sei denn er hielt eine Flasche Schnaps als Geschenk bereit. Die
hatte ich mir gegen eine amerikanische Wolldecke besorgt. Zuhause erwarteten mich böse Nachrichten über die Verbrechen der Nazis: vierzehn Familienmitglieder überstanden den Naziterror nicht. Aber es wartete auch die Aufgabe, am Bau eines neuen, nazifreien Deutschland mit zuarbeiten.
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