20 Jahre Pogrom in Lichtenhagen
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Auftrieb der Gutmenschen
Alle bekamen ihre Chance, zu beweisen, wie weltoffen und fortschrittlich sie sind.
Die Grünen bei den „17 Hippies“ im Stadthafen, die Linksaußen vor dem Rathaus, die VIPs in der HMT(dort blieben aber viele Plätze auch der von OB Methling leer), die Freunde des Bundespräsidenten beim Sonnenblumenhaus.
( dort sorgfältig getrennt und gut bewacht in 2 Klassen). Die Sportlichen per Fahrrad, alles unter dem Motto „Lichtenhagen bewegt sich“.
Es galt, das schlechte Gewissen vom August 1992 erneut aufzuladen und in einem kollektiven Reinigungsakt zum wiederholten Mal zu beruhigen.
Das ist gelungen; Rostock hat das gut gemacht: keine Randale, keine Tumulte, nichts, das die Weltpresse beliefert hätte, um der Geschichte vom „Rostocking“ eine neue Folge anzuhängen. Das hat die Staatsmacht perfekt abgesichert, tausende Polizisten, knatternde Hubschrauber am Himmel, jede Zufälligkeit und Spontanität ausgeschlossen.
Hätte es im August 1992 doch nur ein Zehntel der Polizei am Sonnenblumenhaus gegeben, wäre uns Rostocker_innen das alles erspart geblieben. Und vor allem: den Vietnamesen im brennenden Haus die Todesangst, den Randalierern draußen das Hochgefühl, einmal Sieger zu sein und den fliegenden Händlern der Verdienst beim Bierverkauf.
Man muss jedoch mindestens ein Jahr früher anfangen, wenn man darüber nachdenkt, wie diese Menschenjagd hätte verhindert werden können: dort, wo Stadtverwaltung und Landesregierung sich im politischen Ping Pong nicht um die Flüchtlinge und die Einwohner in Lichtenhagen gekümmert haben. Ob das Ganze abgekartet war, um die bald danach erfolgte Änderung des Grundgesetzes zur wesentlichen Einschränkung des Asylrechtes durchzuboxen, werden wir nicht erfahren, die Akteure haben darüber sicher keine Aktennotizen angefertigt.
Es hätte auch aus städtischer Sicht die Möglichkeit gegeben, auf der Wiese vor der ZAST ein Mindestmaß an Menschenwürde und Ordnung durchzusetzen, aber Innensenator Peter Magdanz war in der Tagesschau mit den Worten zu vernehmen:
„Der Bund muss endlich handeln“
Waren die Steine- und Brandflaschenwerfer eigentlich frühe Wutbürger, die für ihre partiellen Interessen gehandelt haben? Jedenfalls war die zivilisatorische Firnissschicht 1992 bei einem Teil der Bevölkerung durch die Erfahrungen der letzten zwei Jahre sehr dünn geworden, vielleicht war sie es auch schon immer. Solche Ereignisse gibt es nicht selten, denken wir an London im letzten Sommer oder das Baseballstadion in in New Orleans nach dem Hurrikan Catrina.
Fakt ist, für den Ausbruch solcher Unmenschlichkeiten ist immer das Versagen der Staatsmacht, oder sogar deren Beteiligung eine entscheidende Voraussetzung!
Deswegen hat Jochen Gauck auch den Nagel auf den Kopf getroffen, als er vor dem Sonnenblumenhaus sagte, hier hat vor allem der Staat versagt. Würde ein Bundespräsident, der nicht aus Rostock stammt das auch so deutlich sagen?
Das wird uns ja immer als Ausrede angerechnet, dass man ja gegen diesen Mob nichts tun konnte; was wohl richtig ist, sogar Polizisten berichten von Todesangst.
Die Ostseezeitung hatte Lichtenhäger Bürger aufgerufen von ihren Erinnerungen an den August 1992 zu berichten, die Resonanz war kläglich, zwar kamen Briefe, aber durchweg von Mitgliedern der politischen Klasse, Landtagsabgeordnete, Ortsbeiräte, Funktionäre aller Kategorien. Der gewöhnliche Mensch erinnert sich lieber nicht – einmal muss schließlich Schluss sein mit der Vergangenheitsbewältigung, oder?
Von den etwa 5000 Menschen, die insgesamt an den Veranstaltungen zum 20. Jahrestag des Pogroms teilnahmen, waren eine große Anzahl aus ganz Deutschland angereist und Mehrfachbeteiligungen reduzieren die Zahl der Rostocker weiter.
Die Lichtklangnacht im IGA Park am gleichen Wochenende war ein mindestens genauso großer Erfolg, dort waren auch 5000 Zuschauer.
Mich hat übrigens schon 1992 geärgert, dass am Wochenende danach aus ganz Deutschland wohl an die Zehntausend Demonstranten teilweise mit sehr schillernden Losungen in Rostock demonstrierten, um uns zu zeigen, was wir für ein reaktionäres Kaff sind. Ähnlich war es auch diesmal, da gab es auch nicht nur demokratietaugliche Transparente.
Die Rostocker Stadtgemeinde muss es schon selbst hinkriegen. Wenn die Bürgerschaft im gemeinsamen Aufruf zum 20. Jahrestag den Vereins „bunt statt braun“ lobt, muss festgestellt werden, das diese Initiative seit ihrer Gründung am Hungertuch nagt, es gibt bis heute weder vom Land, noch von der Stadt eine Grundförderung, lediglich die WIRO sponsert die Büromiete, alles andere muss über mühselige Projektanträge organisiert werden. Nur etwas mehr als ein Promille der Rostocker zahlen dafür Beiträge und die wenigen Aktiven betreiben ein hohes Maß an Selbstausbeutung. Der Förderverein der Rostocker Kunsthalle wird wohl bald mehr Mitglieder haben.
Auch dem anderen Vorzeigeverein „Dien Hong“ wurden gerade durch die Stadt die Mittel für Beratungsleistungen gekürzt. „Storch Heinar“ ist ein Projekt von sozialdemokratischen Politikfreaks, deren Bezüge nur innerhalb des eigenen Zirkels verstanden werden.
Die richtige Sensibilität für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen zu erreichen, ist auch eine Forderung des Bundespräsidenten, dazu bedarf es nicht nur der formellen Gleichberechtigung, man denke nicht nur an die gerade durch Karlsruhe erhöhten Unterhaltsleistungen für Asylbewerber, sondern viele andere Benachteiligungen.
1990 durften bei den ersten freien Kommunalwahlen alle Ausländer mit Wohnsitz in Rostock und nicht nur EU Bürger wählen. Erst seit einigen Jahren können Ausländer in Selbstverwaltungen von Krankenkassen oder der Arbeitsverwaltung tätig sein.
Auch das Verbot, Ausländer als Betriebs-oder Personalräte zu wählen, ist glücklicherweise überwunden, jedoch Schöffe werden darf auch heute nur der Besitzer eines deutschen Passes.
Am 28.8.1992 sagte die damalige Familienministerin Angela Merkel in der Tagesschau, gegen Lichtenhagen helfen nur mehr Mittel für die Jugendarbeit, danach gab es in Rostock tatsächlich mehr Geld für Jugendprojekte. Dann wurde wieder gekürzt, eine durchgängig verlässliche Förderung gibt es seit Jahren nicht.
Nun ist es aber genug mit dem Gemecker, viele, viele Menschen haben dafür gesorgt, dass an den 20. Jahrestag des Pogroms angemessen und würdig erinnert wurde. Ob das Hoyerswerda, Solingen und Mölln auch so machen? Rostock wird immer mit diesen Orten in einem Satz genannt: gab oder gibt es da eigentlich eine gemeinsame Mahnung? So, wie sie bei den Städten, die NSU Mordopfer zu beklagen hatten, doch auch möglich war. Vielleicht bleibt das als Aufgabe,
Wenn dann im Jahr 2022 der 30. Jahrestag ansteht, wird es hoffentlich nicht mehr nötig sein, in diesem Umfang Programm zu machen, weil die Ursachen überwunden sind, oder aber, die verbliebenen Gutmenschen werden es alleine machen müssen.
Den normalen Rostocker wird es noch weniger anregen, aktiv an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen, als heute. Zur Entwicklung von lebendiger Demokratie brauchen wir in Rostock nicht nur Gedenken, wir brauchen mutige und offene Auseinandersetzung mit Intoleranz und rechten Ideologien. Wir brauchen Menschen in Politik und Verwaltung und überall im öffentlichen Raum, die demokratische Diskussionskultur pflegen. Ein echtes, auch finanzielles Bekenntnis der Stadt zu den Vereinen und Organisationen, die eine solche Auseinandersetzung fördern.
Zum Glück müssen wir in Rostock keine Gräber pflegen, nach denen von auswärtigen Journalisten immer gefragt wird, aber das lag nur an einer Dachluke im Sonnenblumenhaus!
Bitte um Entschuldigung für die Formatierung, das ging beim reinkopiern nicht besser
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James Knis
Beschreibung
1948 in Rostock geboren, war immer hier und hat als Ingenieur, Betriebsratsvorsitzender und Gewerkschafter gearbeitet,jetzt tätig im Sozialmanagment.
verheiratet, 3 Kinder, zwei Enkel. Mitglied der Grünen und Kommunalpolitiker. Schreibt gerne Leserbriefe und stellt unbequeme Fragen.
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