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Grenzen im dritten Jahrtausend - Dreamyourtopia

Gestern wurde mit einem schlecht inszenierten Schauspiel am Brandenburger Tor den vergangenen 20 Jahren ohne Mauer zwischen West- und Ostdeutschland gehuldigt. Der arg überstrapazierte Freiheitsbegriff war in aller Munde, selbstverständlich ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit ebenjenem. Kanzlerin Merkel hielt eine Ansprache, die sie kurz vorher aus einem Märchenbuch kopiert haben musste. Und so tanzten sie glücklich und zufrieden in ihrer freiheitlichen Demokratie und wenn sie nicht in Afghanistan erschossen wurden oder anderswo verhungert sind, so tanzen sie noch heute.

 

 

Kurz vor diesem Irrenspektakel gab es in Berlin im ehemaligen Stadtbad Wedding eine ganz andere Art der Auseinandersetzung mit Grenzen. Eine ähnliche Performance, von der selben Gruppe hatte ich vor zwei Jahren auf dem at.tension Theaterfestival erlebt und war ebenso beeindruckt wie dieses Mal. In einem leeren Schwimmbecken wurde ein Grenzübergang in's Traumland aufgebaut.

Dieses Land zeigt sich beim Wunsch es zu betreten oder es zu bereisen schnell als wehrhafter Staat. Die Kunstaktion „CHECKPOINT DREAMYOURTOPIA“ – A Border Control Checkpoint to Enter Your Own Dreams – tritt erst einmal reserviert auf. Einreisende haben sich fast völlig zu entblättern und müssen nach den Regeln Border Patrol tanzen. In einem zweiseitigen Formular sind zum Teil intimste Angaben zu machen, zu denen man in einem langwierigen und höchst willkürlichen Prozess befragt wird. Da bei neigen die uniformierten Grenzposten zur Übergriffigkeit und Schikane, sie spielen konsequent die Macht aus, die ihnen von den Einreisenden zugestanden wird. Man wird von einer Wartereihe in die nächste bugsiert, muss zur Unterhaltung eines Grenzers Lieder singen, grade stehen ohne sich an die Wand anzulehnen, wird nochmals kontrolliert, bekommt Handy und Schlüssel abgenommen, wird wieder an den Anfang zurückgebracht, oder ganz im Gegenteil einfach vor allen anderen Wartenden drangenommen, zieht so die Verärgerung von anderen auf sich usw. In diesem irritierenden, teils sehr lustigen, teil aber auch etwas beängstigenden Verfahren werden Gruppen geteilt und Fremde einander näher gebracht. [...]

Der Witz ist natürlich, dass hinter der Grenzanlage alles genauso ist wie davor. Es ist natürlich die reine Farce. Wo sollte das Traumland denn sein, wenn nicht in einem selbst und wie absurd zu glauben, man könnte dort, an einem realen Ort einreisen. Und doch zeigt sich hier, wie stark Menschen getrieben werden, allein durch die Hoffnung es könnte wo anders besser sein. Es ist der Glaube an Erlösung und der Wunsch bei denen zu sein, die alles haben, alles dürfen, alles können, der uns freiwillig zu schwachen Spielfiguren im Theater der Machtverteilung werden lässt. (Auszug aus dem Blog Berlin-ist.de)

 

Nach über zwei Stunden hielten wir unsere Traumlandpässe in den Händen. Im Hinterkopf die mahnenden Worte des letzten Grenzposten: "Macht euch täglich bewusst, dass es eurer Leben ist, dass ihr lebt. Bringt jeden Tag eure Ideen und Träume ein. Zieht euch bunt an und macht verrückte Sachen. Lasst euch von nichts und niemandem einschüchtern und vergesst die Grenzen die euch täglich vorgesetzt werden. Es gibt Nichts, dass sich nicht ändern ließe." (sinngemäß übersetzt). So standen wir nun im Schwimmbad mitten in einer Party und waren merklich aufgewühlt.

 

Anders als in der interaktiven Performance endet der Grenzübertritt der alermeisten Flüchtlinge nicht bei einer Schwimmbadparty. Wer sich aktuell mit der Situation von Flüchtlingen auseinander setzen möchte sollte unbedingt bis zum 28.11. in's Peter-Weiss-Haus gehen. Dort ist die Ausstellung "Displaced" zu sehen. Sie dokumentiert die Realitäten der Menschenrechtslage um die europäischen Außengrenzen. Von der Elfenbeinküste über Burkina Faso nach Marokko, von der Ukraine nach Italien, Frankreich und Deutschland lässt die Ausstellung jene Menschen zu Wort kommen, die auf ihrer Flucht vor Hunger, Armut, Bürgerkrieg und Gewalt an den Grenzen, vor den Toren Europas gestrandet sind.