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Noch ein Erfahrungsbericht zum erfolreichen zivilen Ungehors ...

Folgender Text kam neulich zu mir geflattert. Der passt zu dem anderen Erfahrungsbericht vom Castor. Viel Spaß beim lesen und im Dezember dann Richtung Lubmin!

p.s. hier noch drei weitere Berichte:

Nu aber wirklich der Bericht...

 

 

Nach
dem Castor ist vor dem Castor – ein kleiner Erfahrungsplausch

 

Mit
insgesamt vier Bussen, 10.000
Flyern für den
Lubmin-Castor-Transport, einem Film über die Widerstandsgeschichte
im Wendland, Transpis und guter Laune sind am Sonnabend, dem
06.11.2010 früh um Neun hochmotivierte Menschen aus HRO und
Greiswald zur Auftaktkundgebung nach Dannenberg, Niedersachsen,
gefahren. Dort haben sie, gemeinsam mit 50.000 weiteren
„SängerInnen“, u.a. gegen den bevorstehenden Transport von elf
Castoren aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague (Nordwesten
Frankreichs) ins Zwischenlager Gorleben demonstrieren.
Wiederaufbereitung
meint dabei kein Recycling, sondern das Gewinnen von hochgiftigem,
waffentauglichem Plutonium. In Deutschland ist der Transport von
abgebrannten Brennstäben zur Wiederaufbereitung seit Juli 2005 zwar
verboten, die bis zu diesem Zeitpunkt dorthin gebrachten Castoren
werden aber immer noch stückweise zurücktransportiert.

Seitdem das
erste Atomkraftwerk in Deutschland 1960 ans Netz ging, ist die
Atommülllagerung für die jeweils nächste Million Jahre (den homo
sapiens sapiens gibt es seit 160.000 Jahren) nicht geklärt. Der
Ausstieg aus dem Ausstieg mit einer damit einhergehenden Verlängerung
der Laufzeiten um circa 12 Jahre und dem hochradioaktiven
Atommüllanstieg von derzeit 4400t auf schätzungsweise 21.600t in
Deutschland ist stärkstens zu kritisieren. Dies war für die
Menschen, die auch in den darauffolgenden Tagen mit zahlreichen
kreativen Protestformen auf den Transport warteten und diesen
erfolgreich blockierten, womöglich ein zweiter Grund, warum
Widerstand geleistet wurde: Atomenergie ist keine Brückentechnologie
auf dem Weg zu Erneuerbaren Energien, sondern eine Methode aus dem
letzten Jahrhundert (ein Transpispruch). Der Salzstock Gorleben wird
nichts desto trotz laut Umweltminister Röttgen (CDU) seit diesem
Jahr bis voraussichtlich 2017 erneut auf seine Eignung als Endlager
untersucht.

 

Der 12.
Castor-Transport nach Gorleben sollte so viel wie möglich kosten, um
den Unsinn der verfolgten Politik weiter ad absurdum zu führen –
und das ist geglückt! 25 Millionen Euro müssen für den mit 92
Stunden längsten Transport der 30 Jahre Widerstandsgeschichte im
Wendland, der 1,5 Tage Verspätung hatte, bezahlt werden. Dass die
Atomriesen davon bisher nicht einen Cent zahlen, ist eine Schweinerei
des Kapitalismus.

 

 

Die 17.000
PolizistInnen aus allen Teilen Deutschlands begrüßten uns schon auf
den Zufahrtsstraßen in Richtung der Auftaktkundgebung. Sie waren
übermäßig präsent und störten das Gefühl einer Kirmis der
friedlichen Veranstaltung, wo sich viele altbekannte Gesichter wieder
nah kommen konnten. Und sie machten auch nicht vor der Überwachung
neben dem Schlafplatz halt…

 

Rund 50
Menschen, die aus HRO und Greifswald anreisten, hatten ihren Rucksack
für mehrere Tage geschnürt. Samstag abend trafen sich alle
wohlvergnügt zum Geburtstags-Reste-Essen und Vernetzungsplenum in
einer tollen ausgebauten Scheune eines Bauerns in Klein Bünstorf.
Nach einem Bezugsgruppenfindungsprozess versuchten die Aufgeregten
neben drei Polizeiwannen vor dem Haus zu schlummern.

 

Das Flair am
Sonntag Morgen war märchenhaft: eine nebel- und sonnenüberflutete
Wiese mit Bach, Apfelbaum und Schafen lies fast vergessen, dass wir
nicht „im Aktivurlaub“ waren, sondern als pflichtbewusste
BürgerInnen unsere Meinung handelnd vertreten mussten. Hier
begegnete uns das erste Mal die Polizei in Zivil. Ein gar widerlicher
Job. Ich war in einer 20-Mensch-starken „Nachbarschaft“. Mit
meiner fünfköpfigen Bezugsgruppe erkundeten wir das Gebiet um die
geplante Stelle zum „Schienencheck“ (vor dem Wendland gilt nicht
das Versammlungsverbot von 50m neben der Schiene), wo wir durch
Warnwesten und lautem, buntem Getummel den Zug dazu bringen wollten,
die Maximalgeschwindigkeit von 30km/h einzuhalten. Auf der
ICE-Strecke fährt der Zug erfahrungsgemäss stellenweise mehr als
100km/h, was nach gemachten Falltests mehr als verantwortungslos ist.
Die Präsenz von zu vielen grünen Uni-Form-ierten lies uns schnell
zu Plan B überleiten: zur Überbrückung der Wartezeit fanden wir
uns mit der gesamten Nachbarschaft im Hof ein, machten
Blockadetrainings und aßen legga Suppe. Dann ging es, wie die
blökenden Schafe, im Schnellgalopp übers Feld, um genau im
passenden Moment vor dem Zug zu stehen. Dieser hielt mit
quietschendem Tohuwabohu nach ca. 1,2km auch genau vor unserer Nase
an. Bunte gelbe Kringel der Lok versuchten Harmlosigkeit zu
suggerieren; die vergitterte Frontscheibe vom Lokführer ließ andere
Interpretationen zu. Ein schreckliches Gefühl, die Castoren so dicht
zu sehen. Insgesamt wurde durch unsere Aktion der Zug mehrmals
angehalten und musste insgesamt viel langsamer fahren als geplant.

 

Sofort im
Anschluss stürmten wir, das zweite mal Zivi-Cops begegnend, zu den
Autos, um über 1000de verschiedene Wege und unauffälligen
„Pinkelpausen“ zum Treffpunkt der zweiten Aktion zu gelangen:
Sitzblockade. Huckelige Waldwege und Spaziergang im Dunkeln brachte
uns zu einer von Polizeiwagen beleuchteten Lichtung, die wir
entschlossen und schnell überquerten, um wenige Sekunden später auf
der Schiene sitzend laut zu jubeln. Die Cops waren entgegen 2008 hier
zuvorkommend, trugen uns sanft zur Seite und kesselten auch nicht.
Wir bildeten eine Menschenkette und begleiteten den Zug und die
Polizei noch eine Weile knapp über 50m von der Schiene entfernt.
Insgesamt hielten wir damit den Zug circa 40 Minuten auf.

 

Die Euphorie
wurde durch den kurzen Besuch in Harlingen, der
Schotter-Aktions-Stelle, gebremst, wo sich uns ein Bild des
Polizeistaates offenbarte: eine Riesenwiese war mit zahlreichen
Polizeiwaagen und Wasserwerfern zu“geschissen“ – die
Vorbereitung auf die Freiluft-GESA von rund 1000 Gekesselten am
nächsten Morgen. Hier stellte sich für mich erneut die Frage nach
Alternativen innerhalb dieses neoliberalen Systems, wo alle Gewalt
von staatlichen Organen auszugehen scheint. Was können wir mit
aktivem zivilen Ungehorsam erreichen, wenn wir eh am kürzeren Hebel
sitzen, weil wir friedlich sind? Wo bekommen wir unsere Kraft FÜR
neue Projekte, um nicht immer nur GEGEN etwas zu sein und zu agieren?
Die Solidarität zwischen den Menschen im Wendland durch Nahrungs-,
Kleidungs- und Schlafplatz-Spenden stellte sich diesem
Ohnmachtsgefühl aber schnell wieder entgegen.

 

Montag
morgen gings dann in die nächste Etappe: erneut war eine
Sitzblockade geplant. Leider kamen wir zu spät. Dafür gab es einen
erneuten Zusammenstoß, diesmal mit sechs ZivilpolizistInnen in drei
Autos. Die sahen so aus wie wir: Anstecker, grüner Parker, Plakat
hinten im Auto: aber ein sportlicherer Schlitten…verdächtig! Ein
Auto verfolgte uns schon eine ganze Weile. Kurzerhand drehten wir den
Spieß um und drängten ihn und seinen Kollegen in die Enge, und in
die Arme seiner „wirklichen Freunde“ (der Polizei). Diese wollten
eine von uns in Auftrag gegebene Anzeige nicht verfolgen, was ihrem
Auftrag, das Volk zu schützen
J,
widerspricht.

 

Vokue, Vokue,
Vokue; Plena, Plena, Plena …und schließlich Laase und
Zweistunden-Spaziergang durch den mittlerweile dunklen Wald richtung
Sitzblockade vor dem Endlager. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten
wir die „Partymeile“ mit Live-Musik, Essen, Trinken, warmen
Decken, Transpis, Feuerschalen, Strohsäcken und tollen Menschen.
Nach einer nieslig-feuchten Nacht kam dann, wie geplant, die Räumung
der Straße, die stellenweise entgegen der Polizeivereinbarung
„friedlich“ ziemlich rabiat mit Schmerzgriffen, obwohl sich nicht
untergehakt wurde, vonstatten ging.

Als
Menschenkette gingen wir anschließend den Weg zurück nach Laase, im
knappen Abstand mit vielen Diskussionen und Liedern für die
PolizistInnen. Ob es nun mehr bringt, seine Wut laut rauszuschreien
oder still an den vielen grünen Marionetten vorbeizugehen, muss wohl
jedeR für sich klären. Fünf Hunde und Cops wurden durch fünf
Menschen gebunden – wie lächerlich ist ihre Angst, dass wir den
Castor stoppen. Wütende, übermüdete Cops vergriffen sich zum
Abschluss des Spektakels an fremdem Eigentum: den gelben X – das
persönliche Symbol des Widerstandes. Und wieder gab es einen Zivi…

 

Und dann
schien mich der Alltag schon wieder viel zu schnell einzuholen. Kaum
zu Hause angekommen mahnt mich aber eine erneute Information, dass
der Protest noch lange nicht vorbei ist, sondern erst richtig anfängt
– nämlich vor der Haustür.

 

„Lubmin –
wo ist das denn?“, diese Frage wurde mir beim Flyer-Verteilen fast
ausschließlich gestellt. Mittlerweile sind wir schon „etwas“
bekannter, und der Protest in diesem Jahr wird weitaus größer sein
als mit 50 Leuten vor drei Jahren.

 

Laut
der Ostseezeitung fahren die ersten vier Castoren aus Cardarache nach
Lubmin am 14.12.2010 los, werden also ungefähr am 16.12. in Lubmin
eintreffen. Am 11.12. wird es dazu eine Auftaktkundgebung in GW
geben. Haltet euch die Termine frei, verteilt Flyer, kommt zu den
Vernetzungs- und Organisationstreffen (ab jetzt jeden Montag 19.03
Uhr vor dem Uniplatz zum Antiatomalarm und anschließender
Orga-Sitzung im Oekohaus, siehe
www.lubmin-nixda.de),
überlegt euch bunten, vielfältigen Protest (Clownsarmy, Blaskapelle
etc.), malt Transpis, klärt auf und mobilisiert Großmütter und
DorfnachbarInnen (zum Stullenschmieren, Teekochen, Stromwechseln) und
stellt vor eure Haustür bzw. hängt an eure Fenster: ein großes,
gelbes X. Zum Zeichen des persönlichen Widerstandes gegen
Atomenergie, Atommüll, Polizeistaat und Kapitalismus. Gegen die
gefährlichen radioaktiven Transporte von West nach Ost, von Ahaus
nach Mayak, von sonstwo nach Lubmin. Fürs Leben, Lieben und Lachen!

 

Achtung:
Passt aufeinander auf. Keine Nazis in unseren Strukturen!