Share the Road oder Scher dich weg? - Der löchrige Weg zur ...
Der Spaßfaktor Rad ist für viele Menschen in Rostock und Umgebung auf den Freizeitbereich begrenzt, denn das außerstädtische Wegenetz wurde bekanntlich für Urlauber und Touristen in den letzten Jahren mehr und mehr ausgebaut. Kommunen im Speckgürtel mit gutem Finanzpolster haben in ihren Gemeinden viele Investitionen in die Infrastruktur umsetzen können, aber eben nur bis an den Rand der großen Stadt.
Im Gegenzug plagen sich Rostocker Alltagsradler seit Jahren und ohne großartige Veränderungen mit plötzlich endenden Radwegen. Holprige Straßen oder zugeparkte Routen gehören ebenso zu den üblichen Hindernissen, um mit dem Rad von A nach B zu kommen. Da verwundert es nicht, dass viele Radfahrer Verkehrsregeln in „großzügiger“ Weise auslegen und lieber auf dem Bürgersteig oder todesmutig quer über die Kreuzung flitzen, um schneller zu sein.
Dabei gibt es seit Jahren Bemühungen von Stadt und ADFC-Aktiven, die Situation zu verändern. In ihrem Fahrradförderprogramm von 2006 hat sich Rostock auf die Fahnen geschrieben, innerhalb von 10 Jahren den Radverkehrsanteil von 15% auf 20% zu erhöhen. Dieses Programm entstand im Ergebnis eines sogenannten Auditverfahrens zur Fahrradpolitik. Verbesserungspotenziale sieht das Audit bei der Wegweisung, bei Straßenreinigung und Winterdienst, bei Abstellanlagen und der Öffentlichkeitsarbeit. Geändert hat sich seitdem wenig.
In Zeiten der Mangelverwaltung und eines überschuldeten Haushalts ist es natürlich bequem, solche Themen erst einmal aus dem Tagesgeschäft auszusparen. Da kann es dann auch passieren, dass ein großes Einkaufszentrum erst mehrfach aufgefordert werden muss, ehe es Fahrradabstellanlagen im Eingangsbereich seines Geländes installiert oder dass die neuen Geschäfte in den ehemaligen Werfthallen zwar ein Auto-Parkhaus und frisch asphaltierte Zufahrtswege haben, aber der breite Gehweg am Gebäude entlang nur Fußgängern vorbehalten ist. Dabei hätte eine Teilung zwischen Rad- und Gehweg problemlos eingerichtet werden können. In allen diesen Fällen handelt es sich übrigens um Bauvorhaben, die nach Verabschiedung des Rostocker Fahrradförderprogramms abgeschlossen wurden.
Geärgert haben sich Radfahrer diesen Winter auch über einen mangelhaften Reinigungsdienst auf viel befahrenen Routen. Gelder standen zwar bereit aber mangels kommunaler Kontrolle hat an vielen Stellen die Umsetzung schlichtweg versagt. Dies soll in der kommenden Saison anders werden. Wir werden sehen, inwieweit das Versprechen eingehalten wird.
Und auch die städtische Öffentlichkeitsarbeit hat sich in eine fast unsichtbare Nische zurückgezogen. Initiativen von Stadt und ADFC wie das Fahrradforum oder lustige One-Hit-Plakatwerbung werden von der breiten Masse kaum wahrgenommen. Die wenigen Ziele sind so tief gestapelt und Marketingmaßnahmen fehlt aus finanziellen Gründen die Kontinuität, so dass nur Eingeweihte die punktuellen Verbesserungen erkennen. Auch die im Verlauf des EU-Projektes Baltic Sea Cycling (2004-2007) entstandene Internetseite www.fahrradregion-rostock.de hat seine letzte Aktualisierung schon eine Weile hinter sich.
Die Interessenvertreter
Werfen wir doch mal einen kurzen Blick in das Inspirationsbuch für Radfahrer, das als ein tolles Ergebnis des 2007 abgeschlossenen EU-Projekts „Baltic Sea Cycling“ zur Förderung des Alltagsradverkehrs präsentiert wurde – beteiligt an Projekt und Bucherstellung waren u. a. die Hansestadt Rostock und der Rostocker ADFC. Darin stehen gleich am Anfang bahnbrechende Erkenntnisse (Zitat): Radfahren macht Spaß und glücklich. Radfahrer haben den Überblick… Wer Rad fährt, hat die Wahl: Radfahren kann aufregend sein oder beruhigend, sportlich oder gemütlich. Alles klar?
Ich bin selbst Mitglied des ADFC und das vor allem, um den Alltagsradverkehr, der einen wirklichen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann, zu fördern. Dieser Ansatz ist auch eine Weile eifrig von der Regionalgruppe des ADFC verfolgt worden. Die Rostocker Vereinsmitglieder engagieren sich, um noch mehr Menschen von den Vorteilen des Radfahrens zu überzeugen. Beweis dafür ist eine umfangreiches Touren- und Veranstaltungsprogramm, das – wir vermuten es schon – allein auf den Freizeitbereich ausgerichtet ist.
Die Rolle als natürliche politische Opposition für die Hansestadt dagegen kommt lediglich im Fahrradforum zum Tragen. Dieses Gremium soll sich um die Verbesserung der Radverkehrsbedingungen in Rostock kümmern. Aufgrund fehlender Finanzen beschränkt sich momentan die Arbeit allerdings auf möglichst geldsparende Reaktionen auf besonders gravierende Missstände. Mittelfristige Konzepte und Öffentlichkeitsarbeit spielen keine Rolle. Wenn durchgreifende Infrastrukturmaßnahmen zu teuer sind, sollte gerade das Radfahr-Marketing stärker in den Vordergrund rücken. Jeder Einzelne kann beispielsweise durch sein Verhalten zur Verbesserung der Radfahr-Situation beitragen. Dazu muss professionelle Überzeugungsarbeit geleistet werden, vom Vorschulkind bis zum erwachsenen Radfahrer.
Entsprechendes Know-How ist bei den regionalen ADFC-Mitgliedern vorhanden. Doch nach Abschluß des bereits erwähnten EU-Projektes „Baltic Sea Cycling“ gibt es keine nennenswerten diesbezüglichen Bemühungen mehr. Einem geplanten Nachfolgeprojekt fehlte es an inhaltlicher Substanz und so kommen auch demnächst keine Fördergelder, die die angespannten Finanzen der Hansestadt entlasten und gleichzeitig nachhaltigen Nutzen bringen könnte. Aber geht ehrenamtliches Engagement nicht auch ohne Fördergelder?
Der Stadt-Plan
Aber noch einmal zurück in die Rostocker Stadtverwaltung. Denn hier haben sich die Bedingungen im vergangenen Jahr zumindest faktisch deutlich verbessert. Mit dem neu gewählten Senator für Bau und Umwelt, Holger Matthäus, ist ein aktives Mitglied des ADFC und ehemaliger Mitarbeiter des Umweltamtes in eine Entscheiderposition gerückt, die sich Vereinbarkeit von Klimaschutz (also auch mehr umweltfreundlichen Individualverkehr) und Infrastrukturmaßnahmen zum langfristigen Ziel setzt. Im aktuellen Interview haben wir ihn u.a. zum Thema Radverkehr befragt. Die Antworten zeigen guten Willen, geben jedoch wenig Grund zu Optimismus. Der Weg zur fahrradfreundlichen Stadt ist nach einem Drittel der im Fahrradförderprogramm umrissenen Zeit in weite Ferne gerückt. Wir bleiben gespannt, ob die im Juni neu aufgestellte Bürgerschaft mehr Willen zeigt, gute Ansätze konsequent zu verfolgen oder doch eher „Scher dich weg“ als „Share the Road“ für Rostock’s Radfahrer gilt.
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Kommentare
Ich kann deine Beschwerde
Ich kann deine Beschwerde trotz Eloquenz leider kaum nachvollziehen, wenn ich sehe wie Fahrradwege immer wieder neu entstehen. Natürlich gibt es hier und da Mangelerscheinungen, aber ich sehe lieber die Fortschritte. Was mich nervt, ist, dass ich zwar mit dem Bike überall lang und hin komme, aber immer wieder durch Scherben von Bierflaschen fahre (die ich meist erst im Nachhinein sehe), wodurch ich zum Fußgänger degradiert werde. Schöner Schiet. Mit dem Skateboard passiert mir das zum Glück nicht. Also entweder werden die Flaschen ab und die Dosen wieder angeschafft oder ich verzichte auf's Fahrradfahren und lasse den Esel verrosten.
Zu diesem Kommentar fällt mir
Zu diesem Kommentar fällt mir leider nicht viel mehr ein als: In welcher Ecke von Rostock wohnst Du denn? Ich wohne in der KTV und da fahren Radfahrer grundsätzlich auf Gehwegen, weil es Ihnen auf der Strasse offenbar zu holperig oder zu gefährlich ist, bringen damit Fußgänger, vor allem Kinder, in Stress...und entspanntes Fahrradfahren ist das auch nicht. Guckt Euch nur mal die Radwegsperrung in der Hamburger Strasse an, da bleiben keine Fragen offen...