Mein Jahr Uni Rostock - Autorität und Gehorsam oder ...
Die Studierenden faul, desinteressiert, schnell überfordert und primär um ihre Freizeit kreisend. Die Dozentinnen* kaum engagiert, ohne Lebensweltbezug und ihr eigenes Ego aufbauend. Die Professorinnen selbstherrlich und kritikimmun mit wenig Kontakt zu allem unter ihnen. Die Verwaltung unflexibel, kalt und eigenlogisch. Und alle schieben sich gegenseitig die Schuld für häufige Sinn- und Inhaltsleere in die Schuhe. Dabei könnte es so schön sein an der Uni: Ein Ort des Lernens, des Wissensaustausches und der Diskussion. Der Suche nach Wahrheit und Wissen verpflichtete Wissenschaftlerinnen führen neugierige Studierende ein in die Gebiete des Wissens und lassen sie die Methoden des Wissenerwerbs erlernen. Der lebendige Disput mit sich respektierenden Menschen in Seminaren und Kolloquien...Aber warum ist die Universität kein toller Ort des Lernens und des Austausches? - Eine kleine subjektive Einschätzung nach einem Jahr als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Pädagogische Psychologie.
Als ich im Oktober 2007 mit meinem ersten Seminar begann, fand ich einen kleinen Raum mit viel zu vielen Menschen darin vor. Problem eins: zu viele Studierende pro Seminar. Im Laufe der Wochen lernte ich dann nach und nach einige Studentinnen kennen. Jedoch nur diejenigen, die sich am Seminargespräch beteiligten. Das waren nicht immer viele. Die meisten blieben eine diffuse Masse mit austauschbaren Gesichtern in der viel Angst steckte, wie ich in Einzelgesprächen herausfand. Viele wollten durchaus etwas sagen und hatten auch eine Meinung, trauten sich aber nicht, aus Angst etwas Falsches oder Dummes zu sagen. 112 ausgefüllte Auswertungsbögen meiner Seminare deuten auch darauf hin: Das Seminar und der Dozent wurden in Schulnoten mit 2,0 und 1,8 bewertet. Die Studierenden jedoch nur mit 2,5 und die eigene Beteiligung als schlechtestes Ergebnis des ganzen Bogens mit 3,0. Am unzufriedensten waren die Teilnehmerinnen zumindest meiner Seminare also mit sich selbst. Problem zwei: Die Studentinnen sind zu ängstlich.Im Kontakt mit den Kolleginnen stellte ich fest, daß die meisten gerne über die Studentinnen schimpften. Sie seien zu schüchtern, zu ängstlich, zu desinteressiert und zu faul. Neugierig hörten zwar manche zu, wenn ich über meine Versuche berichtete, etwas anders zu machen und ein paar Ideen konnte ich auch mitnehmen und vielleicht auch weitergeben. Die meisten wollten jedoch nicht das Risiko eingehen, etwas Neues auszuprobieren. Stärker wirkte sich jedoch noch ein weiterer Faktor aus: die Zeit. Die Lehre ist für die meisten Dozentinnen ja nur eine Pflicht neben der Verfolgung der eigenen Karriere. Da so gut wie alle Menschen im Mittelbau einer Universität Zeitstellen haben, bleibt die Sorge um die eigene Existenz an erster Stelle. Mit guter Lehre und zufriedenen Studierenden macht man da keine Punkte. Die Aufgabe besteht dann eher darin, ganz ähnlich wie bei den Studentinnen, die Lehre mit möglichst geringem Aufwand zu bewältigen. Problem drei: die Dozentinnen sorgen sich vor allem um ihre eigene Zukunft und sind nicht mutig genug.Bei der Arbeit als Dozent bemerkte ich einen sozialen Effekt, den ich schon aus meiner freiberuflichen Seminarleitungstätigkeit kannte: Wenn man viel vorne steht und viele Menschen einem lange und aufmerksam zuhören, macht das was mir. Wahrscheinlich ist das eine Art Machtgefühl, das sich einerseits ganz gut anfühlt, andererseits auch beängstigend ist. Besonders deutlich wird es, wenn man alltägliche Kommunikationsabläufe verläßt und zu etwas gewagteren Spielen und Übungen anleitet oder Sachen sagt, die ich im Supermarkt nie zu jemand sagen würde. Ein Beispiel: Im Seminar „Autonomie & Gehorsam“ wollte ich zu Anfang deutlich machen, wie sich Gehorsam anfühlt und wo die Grenzen liegen. Ich lud die Studierenden zu einer kleinen Kennenlernübung ein, bei der sie sich zunächst in einem Kreis aufstellen, die Vorderfrau an der Schulter fassen und dann wie eine Polonaise vorwärts gehen sollten. Dann klatschten sie und machten andere Bewegungen. Alle machten schön mit. Ich sprang auf den Tisch und rief weitere Anweisungen in die Runde. Beim Entengang stiegen die ersten aus, beim Vierfüssergang noch mehr und als sie dann einen Finger ablecken sollten, um ihn dann einer anderen ins Ohr zu stecken, machte das keine mehr. Im Augenblick meines auf den Tisch springens, merkte ich es sehr deutlich. Da ist viel Macht, die machen zu lassen. Zwei Dinge wurden mir bei diesem Gefühl deutlich: erstens fühlt es sich gut an, weil alle auf mich ausgerichtet sind und erschreckt mich nur dann, wenn ich mir des Gefühls bewußt bin und zweitens fühle ich mich durch die Sonderrolle, die ich in der Gruppe als Dozent einnehme, sehr isoliert. Die Abtrennung von den anderen merke ich jedoch meist erst nach dem Seminar, wenn mir bewußt wird, daß ich von den Persönlichkeiten der Menschen kaum etwas mitbekommen habe. Beziehungslosigkeit.
Ich nehme mal an, daß ich nicht der Einzige bin, der dieses Gefühl erlebt und denke, daß am weitaus häufigsten die Professorinnen davon heimgesucht werden. Letztere stehen weit öfter als jede andere Dozentin vorne und werden auch durch ihre strukturelle Sonderrolle am oberen Ende der Unihierarchien in dieser Position verstärkt. Immer wieder erlebte Gefühle führen oft zu einer Chronifizierung, was verstehbar macht, wieso Professorinnen, die schon länger im Dienst sind, häufig Eigentümlichkeiten entwickeln und innerhalb des Universitätsystems auf der zwischenmenschlichen Ebene immer beziehungsloser werden. Zudem teilen sie durch ihre finanziell sichere Situation die Ängste aller unter ihnen Angeordneten nicht mehr, sondern müssen eigene Ziele entwickeln. Problem vier: zu viel Macht von wenigen über viele.Das sind jetzt erstmal vier Probleme. Wie geht’s weiter? Während meiner Tätigkeit an der Uni versuchte ich ein paar Sachen anders zu machen, um einige der Probleme zu verändern. Ich wollte selbst mutig sein und versuchen in Kontakt mit den Studierenden zu kommen und zu bleiben, ich wollte ein möglichst angstfreies Arbeitsklima schaffen, damit Beteiligung und Kreativität entstehen kann und ich wollte die Hierarchien zumindest in meinen Seminaren abbauen. Was ich mit der großen Personenanzahl anfangen konnte wußte ich anfangs noch nicht.Ich schaffte die Teilnahmelisten ab, brachte kooperative Methoden ein, gab ehrliches Feedback und ermutigte zur Mitarbeit usw. Das klappte schon ein bißchen besser, aber die Studentinnen blieben noch skeptisch und zurückhaltend. Für das Sommersemester 2008 entschloß ich mich etwas Neues auszuprobieren: „Sozialpsychologie kooperativ lernen“ [1], ein Seminar ohne vorgegebene Inhalte und Arbeitsformen. Ich wollte im Seminar zusammen mit den Teilnehmenden alle Bedingungen gemeinsam bestimmen, und zwar wirklich alles: welche Themen mit welchen Methoden bearbeitet werden sollen, welche Voraussetzungen für Leistungsscheine gelten sollen, usw. Die Teilnehmerinnen reagierten natürlich merkbar schockiert, als ich ihnen offenbarte, daß ich nichts vorgeben würde und dementsprechend auch nichts weiter vorbereitet hatte. Lediglich für die ersten zwei Sitzungen hatte ich mir Methoden rausgesucht, mit denen wir initial etwas arbeiten konnten und so probierten wir beim ersten Mal das „World Café“[2] aus und beim zweiten Mal die „Fishbowl“[3]. In insgesamt drei Seminarterminen einigten wir uns darauf in Kleingruppen zu bestimmten Themen zu arbeiten und am Ende des Seminars die Ergebnisse vorzustellen. In der Zwischenzeit sollten die Seminarzeiten als Offener Raum[4] genutzt werden. Kleingruppen bildeten sich zu selbst entdeckten Themen wie „Spieltheorie“, „Sozialpsychologie im Schulalltag“, „Tod und Trauer in der Schule“ oder „Emotionale Kommunikation und soziales Verhalten“. Die Gruppen sollten selbst über die Kriterien für einen Schein bestimmen. Manche Gruppen und Teilnehmer_innen waren mit der Freiheit überfordert, manche brachten erstaunliche Ergebnisse zu Tage. Es wurde in Schulen hospitiert, Fragebögen wurden konstruiert, Videos gedreht, Ratespiele programmiert, Unterrichtsspiele ausgedacht und durchgeführt, Literatur gelesen und vorgestellt und noch vieles mehr. Interessant vor allem die inneren Prozesse. Eine Teilnehmerin in ihrer abschließenden Reflektion: „Das Seminar bot viel Freiraum, was wir alle als sehr ungewohnt empfunden haben. Diesen sinnvoll auszufüllen, darin liegt schon eine gewisse Kunst. Besonders unbefriedigend und lähmend habe ich die lange Themenfindungsphase empfunden, bei der ich mich orientierungslos fühlte. ... Was hat es mir gebracht? Ich habe gemerkt, daß es sich lohnen kann sich einzubringen. Wer nichts sagt z.B. bei fishbowl, so wie ich das getan habe, wird nicht gehört und kann nicht berücksichtigt werden. So läuft Demokratie: wenn das Volk nicht mündig genug ist, sich einzubringen, kann Volkes Meinung nicht berücksichtigt werden. Ich denke das ist ein besonders wichtiger Lernprozeß, den man auch bei Schülern in Gang setzen sollte.“ ... Ich habe gelernt, und das möchte ich auch Schülern beibringen: Sei mutig und bring Dich ein!“ Eine andere Teilnehmerin: „Dieses Seminar war für mich völliges Neuland und ich hatte anfangs echte Schwierigkeiten mich darauf einzulassen. ... Wir sind alle jahrelang darauf getrimmt worden, auch schon in der Schule, uns mit Hilfe von Vorgaben und und einem feststehendem Konzept etwas zu erarbeiten. Im Nachhinein denke ich, ist ihre Art von Seminar auf längere Sicht effektiver, da wir, wenn wir den Umgang mit Freiheit gelernt haben, viel kreativer sein können. Dazu müßte das ganze Studium anders strukturiert werden.“ Und noch ein Teilnehmer: „So waren die ersten beiden Stunden im Seminarraum von Tristesse und Verwirrtheit geprägt. Durch die vorgegebene absolute Freiheit und Eigenständigkeit waren einige Studenten verwirrt und einige überfordert. Was sollen wir denn nun eigentlich machen? Was ist denn nun Thema? Wer? Was? Wann? ... Keine dieser Fragen konnte auch ich mir nach der ersten Sitzung beantworten. ... Doch bereits mit der zweiten Seminarrunde begann es langsam “KLICK” zu machen. ... Ich wurde also motiviert zu beobachten und zu erkennen, was mit der Gruppe, aber auch mit den Individuen passiert. Was am Anfang alles so sozialpsychologie-fern erschien, machte nun auf einfache und praktische Art und Weise, Sinn. ... Natürlich haben wir uns auch nur auf unseren Vortrag vorbereitet, auf diesen aber wesentlich intensiver als gedacht, ohne dass es aber ungewollt und aufgezwungen war.“ Noch eine Teilnehmerin: „Rückblickend betrachtet bewerten wir dieses Seminar als eines der spannendsten und auch interessantesten in unserem bisherigen Studium, da es etwas völlig Neues, Anderes war, Raum für Kreativität bot, man im wörtlichen Sinne den Seminarraum verlassen konnte und uns zusätzlich die Möglichkeit geboten wurde, hinsichtlich Arbeitseinstellung und Disziplin etwas über sich selbst zu erfahren.“
Als das Seminar zu Ende war und ich die Reflektionen gelesen hatte war ich froh und bin es noch. Eine kleine Veränderung war möglich. Auch zum Problem der hohen Anzahl an Studentinnen gab es Lösungen: Durch die Auftrennung arbeiteten in diesem Seminar alle in Kleingruppen, was sowohl den Teilnehmenden als auch mir intensiveren Kontakt und besseres Lernen ermöglichte. Ein anderes Seminar, das zu groß für den Raum war, verteilte ich auf zwei Räume und ließ die eine Gruppe selbstständig das Seminar durchführen. Beide Gruppen referierten und diskutierten intensiv die Thematiken.Für mich ist klar geworden, daß es Lösungen für Probleme gibt, wenn man sich traut, kreativ zu denken und den Mut aufbringt, mal etwas anderes auszuprobieren und dabei die Gefahr des Scheiterns in Kauf nimmt, denn das kann passieren. Mir scheint, die meisten Beteiligten am Unisystem sind mit ihrem Kopf leider vor allem in der Zukunft, bei ihren Jobs, ihrer Karriere, ihrer Alterssicherung. Darüber geht das Jetzt etwas verloren, obwohl wir doch im Jetzt leben. Komisch, nä ;). Die ganze Uni ändert sich nicht über natürlich nicht über Nacht, aber wenn wir anfangen mit der Veränderung, kann auch mal was anders werden!Mut und Kraft zum Andersein und Andersmachen!Ulf Gausmann*Zur besseren Lesbarkeit verwende ich nur eine Geschlechtsform, meist die weibliche. Fast immer sind alle Geschlechter gemeint.[1] Kooperatives Lernen: Zentral für das kooperative Lernen ist, dass jeder sowohl für das Lernen der Gruppe als auch sein eigenes verantwortlich ist. www.kooperatives-lernen.de [2]Worldcafé: Eine einfache und zugleich wirkungsvolle Methode, um eine mittlere oder große Gruppe von Menschen in intensive Gespräche miteinander zu bringen. Zu einem gemeinsamen Thema wird das kollektive Wissen und die kollektive Intelligenz der Gruppe plötzlich sichtbar, wodurch kreative Lösungen und Durchbrüche für komplexe Themen möglich werden. http://www.theworldcafe.com/ [3]Fishbowl: Fishbowl ist eine alternative Methode der Diskussionsführung. Eine kleine Gruppe von Teilnehmern des Plenums im Innenkreis (im "Goldfisch-Glas") diskutiert exemplarisch die Thematik, während die übrigen Teilnehmer in einem Außenkreis die Diskussion beobachten. Möchte ein Teilnehmer aus dem Außenkreis zur Diskussion beitragen, kann er mit einem Mitglied des Innenkreises die Plätze tauschen. → wikipedia[4] Offener Raum: Ein offener Raum oder open space ist das Konzept eines selbstorganisierten, eigenverantwortlichen Tätigkeitsfelds im umbauten Raum, in dem es nach Möglichkeit keine Beschränkungen der Nutzung geben soll. → wikipedia
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Kommentare
Ohje, das klingt ja, als
Ohje, das klingt ja, als hätte sich in den letzten zehn Jahren (ich habe der Uni 2000 den Rücken gekehrt) nicht viel geändert - dabei lässt die Außenwirkung der Universität ja viel mehr vermuten. Haben die neuen Rektoren keine Veränderungen gebracht? Woran liegts? Bei Unternehmen ist schlechte Produktivität sehr oft Resultat eines schlechten Arbeitsklimas, mangelnden Zusammenhalts, fehlender Visionen.... - ?
Du sagst es: oft sehr
Du sagst es: oft sehr schlechtes Arbeitsklima, kein Zusammenhalt, keine Visionen, stattdessen vor allem Angst. Angst zu schlecht zu sein, Angst keinen Arbeitsplatz zu bekommen, Angst keine ausreichende Leistung bringen zu können, Angst etwas falsches zu sagen. Mit Angst wird dann nicht mehr viel gelernt, stattdessen fallen alle in eine merkwürdig bewußtlose Starre, um jede Form eventuell gefährlicher Lebendigkeit zu zügeln.