Beteiligungsverfahren Kirchenplatz: es geht auch anders
Wie von Ingo vor ein paar Tagen in seinem Blog und auch hier angesprochen, hat die Stadt Rostock am 2. August ein Bürgerbeteiligungsverfahren eröffnet, um die Meinungen ihrer Bürgerinnen und Bürger zur zukünftigen Gestaltung des Kirchenplatzes in Warnemünde zu sammeln.
Leider wirkt die technische Umsetzung etwas altertümlich und behäbig: der oder die Meinungsbefragte wird gebeten, eine PDF-Datei herunterzuladen, diese auszufüllen, abzuspeichern und dann per Mail an die Stadt zu senden.
Um die allgemeine Beteiligung zu erleichtern, habe ich daher kurzerhand einen Web-basierten Fragebogen erstellt:
zum Online-Fragebogen (Achtung: das Verfahren endet am 24. August)
Die Ergebnisse werden als Mail sofort an das Amt für Stadtplanung verschickt.
Interesse an Beteiligung
Mir persönlich ist nicht klar, warum das Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Wirtschaft ihren Bürgerbeteiligungsaufruf ohne offensichtliche Not mittels einer wenig attraktiven Einreichungsform durchführt. Folgende Beweggründe fallen mir spontan ein:
- fehlender technischer Sachverstand
- mangelndes Interesse an umfassender Bürgerbeteiligung
- mangelnde finanzielle oder zeitliche Ressourcen zur Umsetzung einer zugänglichen Lösung
Den technischen Sachverstand im Rathaus möchte ich hier nicht bezweifeln - er ist sicherlich in gutem Maße vorhanden.
Das fehlende Interesse an relevanter Bürgerbeteiligung erscheint mir wesentlich plausibler: die Meinungsabfrage wurde - soweit ich nichts übersehen habe - ausschließlich auf der Seite "Aktuelles" des Rathauses veröffentlicht - bzw. wohl eher versteckt. Nicht einmal das offizielle Druck-Medium der Stadt (Städtischer Anzeiger) enthält einen Hinweis auf das Beteiligungsverfahren.
Wobei die Erwartung einer geringen Resonanz seitens der Anwohner wiederum erklärt, warum ein solch umständliches Verfahren gewählt werden konnte. Denn schließlich stellt die Auswertung von Brief-Sendungen (die ebenfalls als mögliche Kommunikationsform angegeben wurden) im Falle relevanter Rücklaufzahlen ein erhebliches Aufwandsproblem dar. Spontan kann ich mir auch gerade nicht vorstellen, dass die Stadt komplexe Systeme (z.B. das proprietäre Adobe Lifecycle) verwendet, um die eingesandten Formulare automatisiert auszuwerten.
Im Falle einer manuellen Auswertung ist wohl mit mehreren Minuten (vielleicht 10?) Arbeitsaufwand pro eingesandter Bürgereingabe zu rechnen. Bei nur 1000 empfangenen Eingaben entspräche dies 10000 Minuten, also etwa einem Monat Arbeit für eine 40-Stunden-Stelle.
Die Ökonomie
Dies führt nun zum dritten möglichen Grund für die Wahl dieses umständlichen Beteiligungsverfahren: das liebe Geld, bzw. sein Mangel. Die Erstellung einer trivialen Lösung (siehe das oben verlinkte Web-Formular) kostete mich etwa 18 Stunden Arbeit (je ein Viertel für Entwicklung, Design, Test und finale Aufbereitung). Das Ergebnis entspricht wahrscheinlich nicht den üblichen Standards der Stadt bezüglich der Integration in ihre allgemeine IT-Infrastruktur, aber zumindest ist es damit auch Nutzern von Smartphones und freien Betriebssystemen möglich, ihre Meinung elektronisch kundzutun. Das aktuell verwendete PDF-Formular ist dagegen nur mit Adobe-PDF-Betrachtern ausfüllbar (für anderslautende Hinweise bin ich dankbar). Die Umsetzung einer Web-basierten Lösung dürfte also auch bei hochpreisigen IT-Stundensätzen finanziell unproblematisch für die Stadt sein.
Also bleiben aus meiner Sicht nur die folgenden drei Erklärungsmodelle für die ökonomische Grundlage des Handelns des Amts für Stadtentwicklung:
- nur sehr wenige Eingaben (weniger als 100?) werden erwartet
- die Stadt verfügt (entgegen meiner Einschätzung) über automatisierte Werkzeuge, die alle Eingaben (PDF + Briefe) mit geringem Aufwand aufbereiten können
- diese Bürgerbeteiligung wurde nicht bezüglich ihrer ökonomischen Effizienz analysiert
Aufgrund fehlender Hintergrundinformationen wäre alle weiteren Schlussfolrgerungen wohl nur Spekulation.
Die Zukunft
Sofern ich mit meinen obigen Gedanken keine wesentlichen Fakten ausgelassen habe, ist wohl ein gewisses Potential bezüglich der Duchrführung von Bürgerbeteiligungsverfahren in der Stadt Rostock nicht zu leugnen. Die Aspekte wären hier wohl folgende:
- Breite der Ansprache (z.B. durch die Einbeziehung weiterer Medien)
- Minimierung der Beteiligungsschwelle (z.B. ein Online-Fragebogen statt des PDF-Formulars; Aushänge oder Postwurfsendungen in Warnemünde)
- Effizienzoptimierung (skalierbare Auswertungsverfahren)
Bezüglich der Beteiligungsschwelle und des skalierbaren Auswerteverfahrens kann ich an dieser Stelle nur auf den Code der von mir für den aktuellen Anlass entwickelten Online-Umfrageoberfläche verweisen. Ich habe das Programm unter einer freien Lizenz (GPL) veröffentlicht. Es ist flexibel strukturiert und sollte in wenigen Minuten für andere Umfragen anpasspar sein. Für Fragen und technische Unterstützung stehe ich der Stadt bei Bedarf gern unentgeltlich zur Verfügung - falls dies zu einer Verbesserung städtischer Beteiligungsverfahren führen sollte.
Dieser Diskussionsbeitrag bezieht sich lediglich auf die technische Seite des Beteiligungsverfahrens. Beim Ausfüllen des Fragebogens hatte ich jedoch den vagen Eindruck, dass auch der inhaltliche Teil (Art der Fragestellung, Komposition der Alternativen) verbesserungswürdig ist. Falls jemand (mit der passenden Sachkenntnis?) sich diesem Aspekt des Thema in Form eines Artikels hier bei stadtgestalten.org widmen wollte, würde ich mich sehr freuen. Und auch die Stadt wird sich sicherlich über diese Form der Beteiligung glücklich zeigen ...
Wie auch immer: ich bin gespannt, ob sich in der kurzen Zeitspanne der Verfügbarkeit des Online-Fragebogens (nur 8 Tage - statt 21 Tage für die offizielle Umfrage) eine relevante Anzahl von Menschen auf diesem Wege einbringen werden.
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Kommentare
DAS nenne ich doch mal
DAS nenne ich doch mal Initiative! Danke Lars!
Das Ganze koennte ja fast ein
Das Ganze koennte ja fast ein Beitrag zum Thema "Politik hacken" sein... hoffentlich gibt es nun schoen viele Leute, die abstimmen! :-)
Auch von mir ein Danke!